"Gott ist auch als Urbild der Frau anzusehen"

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Wie der Feminismus heute und wie verschiedene Religionen die Stellung der Frau sehen, ist ebenso Thema dieses Interviews mit der bekannten Religionsphilosophin wie die Frage der immer wieder behauptten Leibfeindlichkeit der Katholischen Kirche.

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Wie der Feminismus heute und wie verschiedene Religionen die Stellung der Frau sehen, ist ebenso Thema dieses Interviews mit der bekannten Religionsphilosophin wie die Frage der immer wieder behauptten Leibfeindlichkeit der Katholischen Kirche.

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dieFurche: Welche sind ihrer Ansicht nach die wichtigen Strömungen im Feminismus?

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Ich sehe zwei einander fast ausschließende Richtungen. Die einen kämpfen tatsächlich für die Frau und müssen daher auch Definitionen von Frausein vorlegen. Haupttenor des sogenannten kulturellen Feminismus ist, daß Frauen sich in den Kulturen immer verschiedentlich eingesetzt, bewährt und ganz bestimmte Aufgaben geleistet haben. Während vor allem die Amerikanerinnen eine sehr positive Einstellung zur Geschichte als Leistungsgeschichte von Frauen haben und geistesgeschichtlich gut fundieren, nimmt die zweite Linie, die ebenfalls sehr stark in den USA und mittlerweile auch bei uns vertreten ist, Frausein als beliebige Festlegung, die keine Aussage mehr beinhaltet. Dieser im Moment weitestgehend negative Vorschlag schafft sein Subjekt, die Frau, einfach ab. In "Das Unbehagen der Geschlechter" formuliert Judith Butler, daß der Frau nicht nur eine bestimmte Rolle, sondern auch die Sexualität aufgeprägt sei.

dieFurche: Dagegen kann man doch einwenden, daß es offensichtlich zwei verschiedene sexuelle Körper gibt?

Gerl-Falkovitz: Ja, richtig, Butler würde das nicht leugnen. Für sie entwickelt aber jedes Individuum gewissermaßen ein eigenes Konzept zum Frausein. Jeder könnte demnächst sagen: "Ich benehme mich wie eine Frau, also bin ich auch eine". Im Fachjargon heißt das, daß das "gender" auch den "sex" bestimmt: heute Frau, morgen Mann, denn letzten Endes ist der Leib nicht wichtig. Bei Butler ist praktisch alles kulturelle Prägung: Sprache, Benehmen, Kleidung ...

dieFurche: Das ist doch das Gegenteil von kulturellem Feminismus?

Gerl-Falkovitz: Ja, die Frau der Zukunft existiert eigentlich nicht mehr. Da gibt es natürlich gewichtige Einwände. Schließlich braucht es keine Frauenbewegung, wenn die Frau nicht existiert.

dieFurche: Gibt es auch feministische Positionen, die von religiösen Frauen vertreten werden?

Gerl-Falkovitz: Natürlich. Die christliche Frauenbewegung schließt sich in manchem feministischen Thesen an, die sie jedoch da und dort abzumildern versucht. Dabei spielt vor allem die Begründung aus dem göttlichen Bereich eine große Rolle, also eine Argumentation, die die liberale Frauenbewegung nicht hat. Deswegen ist es so wichtig, daß Christinnen sich zu Wort melden. Im Prinzip meint auch der Teil der Frauenbewegung, der gegen Butler opponiert, daß gerade Leiblichkeit nicht nur ein Faktum ist, das ich je nach Belieben wieder verändern kann, sondern ein Datum - im wörtlichen Sinn etwas Gegebenes, bei dem ich auch nach dem Geber fragen muß. Die Tatsache, daß mich jemand geschaffen hat, läßt mich in einer Beziehung existieren, aus der heraus ich fragen kann: "Wer bin ich, wie bin ich gemeint?" Eine wesentliche Position, die den Blick aus dem rein Historischen und Kultursoziologischen herausführt.

dieFurche: Gibt es dazu auch in den anderen Weltreligionen Parallelen?

Gerl-Falkovitz: Judentum und Christentum haben prinzipiell denselben Spielraum, da die Religionsvergleiche zeigen, daß der Genesistext einzigartig ist. Es gibt keinen anderen Schöpfungstext, der die Frau so definitiv zum Ebenbild des Göttlichen erklärt. Für den Buddhismus, der heute so "en vogue" ist, gilt etwas ganz anderes: In den Urtexten ist zu beobachten, daß der historische Buddha überhaupt keine Frauen, insbesondere nicht seine Tante, in seiner Bewegung haben wollte. Das hängt damit zusammen, daß für ihn die Auswurzelung aus dem Dasein das Entscheidende ist, Frauen für ihn aber die Durchlaufstelle für die Wiedergeburt sind, die er beenden will.

dieFurche: Als Gebärerin hat die Frau also einen minderwertigen Status?

Gerl-Falkovitz: Im Buddhismus ganz eindeutig. Eine Frau muß, um endgültig ins Nirwana eintreten zu können, vorher als Mann wiedergeboren werden.

dieFurche: Noch einmal zur Ebenbildlichkeit. Romano Guardini betont, man solle sich davor hüten, "Mensch" mit "Mann" gleichzusetzen.

Gerl-Falkovitz: Das ist ein ganz grundsätzlicher Gedanke, der aus der Genesis abgeleitet ist und - obwohl klar vorgegeben - kulturell immer eingeschränkt wird. Er besagt, daß Gott auch als Urbild der Frau anzusehen ist, so wie als Urbild des Mannes. In dem Sinn, daß die Frau etwas ausdrückt, was der Mann nicht hat und umgekehrt. Wir haben natürlich die gleiche Menschlichkeit, das sei damit nicht bestritten. Letztlich resultiert daraus aber ein großartiges Spannungsfeld, das ich persönlich an diesen Texten sehr liebe: Es geht um etwas Spezifisches und dann auch wieder um etwas Gemeinsames. Es handelt sich nicht um Aussagen wie "die Frau ist ...", "der Mann ist ..." mit irgendeiner Ergänzung. Gemeinsam ist beiden das Göttliche, das man schlecht auseinanderdividieren kann. Trotzdem drücken wir Frauen das Göttliche anders aus als die Männer - eine großartige Vision.

dieFurche: Warum hat die 2000jährige christliche Geschichte gerade, was die Frauen anbelangt, keinen Umschwung geschafft?

Gerl-Falkovitz: Ich widerspreche der These, daß die 2000 Jahre völlig daneben sind, man muß auch die konstruktive Geschichte sehen. Bereits in der Spätantike, im Römischen Reich, beginnt etwas aufzubrechen: In den frühchristlichen Gemeinden gibt es Frauen, die nicht heiraten. Das klingt jetzt sehr eigentümlich, aber die völlig neue Lebensform als Jungfrau oder Witwe ist eine echte Alternative gegenüber den vielerlei Versklavungen der Ehefrau. Dieses Leben als einzelne in der Wüste oder auch in Frauenorden, die ja prinzipiell selbstorganisierte Gruppen sind, ist ein kulturell erstaunlicher, hochinnovativer Vorgang, das wurde später oft verkannt.

dieFurche: Wenn wir jetzt jemanden auf der Straße fragen, der wird das natürlich nicht so sehen.

Gerl-Falkovitz: Das wissen die Ordensfrauen zum Teil auch nicht mehr, die übrigens erst im 19. Jahrhundert vom Kirchenrecht relativ eingeschränkt wurden. Zum Beispiel hat Nikolaus Cusanus im 15. Jahrhundert als Bischof von Brixen der Äbtissin von Sonnenberg Reformen vorgeschlagen und sie unter anderem aufgesucht. Sie hat ihn nicht einmal hereingelassen, weil die Benediktinerinnen nach ihrer Beratung im Konvent nichts mit ihm zu tun haben wollten. Er konnte gar nichts machen, da sie kirchenrechtlich völlig im Recht war. Das können wir uns heute überhaupt nicht vorstellen. Gerade das Mittelalter betrachten wir immer als abseitige Ecke, wobei vor allem die heute nicht mehr existenten Rechtsprivilegien der Frauen von damals sehr interessant sind.

dieFurche: Kommen wir zum scheinbaren Gegensatz Leiblichkeit-Christentum. Einerseits sind die Christen nicht von dieser Welt. Andererseits bejaht das Christentum zutiefst die Schöpfung. Wie bringt man diese zwei Pole zueinander?

Gerl-Falkovitz: Das finde ich sehr schön, daß Sie die beiden Pole nennen, denn das spricht für mich wiederum für Judentum und Christentum; ich muß die beiden immer zusammen sehen, weil man Altes und NeuesTestament nur aufeinander bezogen sehen kann. Im Unterschied zu anderen Entwürfen mit einer einheitlichen Tendenz, sind wir immer zwischen diesen zwei Polen ausgespannt, was das Christentum anstrengender macht als manches andere, weil das eine gilt, aber auch das andere. Ich sehe, daß das Christentum grundsätzlich eine leibfreundliche Religion ist, und zwar weil es die einzige Religion ist, die eine Fleischwerdung Gottes kennt. Sonst kommen die Götter immer zu Besuch oder sehr überraschend. Die griechischen Götter etwa können Menschengestalt annehmen, die aber immer nur eine Maske ist. Während im Christentum jemand empfangen, geboren wird und stirbt. Fast unausschöpflich, was das heißt, daß Gott wirklich den Leib eines Menschen annimmt.

dieFurche: Aber das wird von der Kirche doch noch lange nicht in der vollen Tiefe verstanden?

Gerl-Falkovitz: Eher kommt es darauf an, wie tief das eine Generation in ihr eigenes Leben umsetzt.

dieFurche: Stichwort Zukunft der Kirche: Wie könnte die katholische Kirche, die vielen Menschen noch am Herzen liegt, die Kurve kriegen, auch was die Frauen angeht?

Gerl-Falkovitz: Ich weiß nicht, ob sie die Kurve kriegt oder nicht. Ich selbst bin gerne in der Kirche und habe auch noch nie daran gedacht, auszutreten. Manche Fragen empfinde ich weniger drängend, kann jedoch andere Frauen verstehen, auch daß sie verletzt sind, ohne das bewerten zu wollen. Ein großes Anliegen ist mir die Ökumene - und zwar auch mit der Orthodoxie.

dieFurche: Wie sehen Sie allgemein die Zukunft der Kirche?

Gerl-Falkovitz: Völlig trivial ist, daß ihr die große Zahl sicher nicht mehr gegeben ist. Ich hoffe, und es entspricht meinem Glaubensentwurf, daß die Kirche nicht nur nach der Zusage Jesu bis ans Ende der Zeiten bestehen bleibt, sondern auch immer neue grüne Zweige treiben wird. Wieder etwas Triviales, aber sehr Klares: Sie wird in anderen Gruppen überleben, als wir uns das jetzt vorstellen können, ich bin hier prinzipiell nicht pessimistisch.

Das Gespräch führte Veronika Winkler.

Zur Person Eine Verehrerin von Edith Stein Hanna Barbara Gerl-Falkovitz ist 1945 in Oberwappenöst in der Oberpfalz geboren. Nach dem Studium der Philosophie, der Germanistik und der politischen Wissenschaften schlug sie die wissenschaftliche Laufbahn ein. Derzeit ist sie Professorin für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Besonders befaßt hat sich Gerl-Falkovitz mit der kürzlich heiliggesprochenen Edith Stein, die sie nicht nur als Philosophin interessiert, sondern auch spirituell beeindruckt hat. Verwitwet nach einer ersten Ehe ist die Religionsphilosophin mit dem Professor für Rechtsmedizin Hans Wuermeling verheiratet.

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