Terroristen töten. Agenten auch.

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Was Steven Spielberg in in seinem Film "München" zum Thriller fiktionalisiert (s. Mittelspalte), holt Aaron Klein im Buch "Die Rächer" - nicht minder beklemmend - auf den Boden der Tatsachen zurück.

Steven Spielberg habe einen guten Film gemacht. Aber: "Wer die Wahrheit erfahren will, muss mein Buch lesen." Solch lakonischer Charakteristik, wie sie Aaron J. Klein im Standard äußerte, kann auch der Leser beipflichten: Klein, selbst ehemaliger Geheimdienstler und heute Time-Korrespondent in Jerusalem, hat mit seinem Buch "Die Rächer", das zeitgleich zum Filmstart erscheint, eine Geschichte des israelischen Vergeltungs-Feldzugs gegen palästinensische Terroristen nach dem Münchner Anschlag verfasst. Ein packend geschriebenes Buch, das an den palästinensischen Terror-Untaten nichts herumdeutelt. Aber auch bei Klein werden die Verstrickungen ins Netz der Gewalt benannt, in dem sich die israelischen Agenten wiederfinden. Allerdings ist sein Zugang nüchtern, die Schlüsse hat der Leser zu ziehen: Dieser kommt dabei auf ähnlich drängende Fragen wie sie auch der Spielberg-Film impliziert.

Klein analysiert zuerst den Anschlag von München. Vernichtende Kritik am Dilettantismus der deutschen Behörden, wo niemand auf einen Anschlagvorbereitet war: Unglaublich, dass die Terroristen der Gruppe "Schwarzer September" am Morgen des 6. September 1972 ungehindert ins israelische Olympia-Quartier eindringen konnten. Unentschuldbar das Kompetenzwirrwarr der deutschen Behörden. Nicht nachgeprüft, als der deutsche Innenminister fünf Terroristen zählte (es waren acht!) usw. Am Ende hatte die Polizei fünf Terroristen erschossen - aber erst nachdem diese alle Geiseln ermordet hatten und ein Polizist von einem Querschläger getötet worden war...

Klein geht auch auf die innerisraelische Kritik am Geheimdienst ein, der die Anschläge nicht vorhergesehen hatte. Dass Ministerpräsidentin Golda Meïr daraufhin die Aktion "Zorn Gottes" ausrief, in der israelische Agenten palästinensische Terroristen töteten, ist schon lang bekannt. Dennoch beklemmend, wie Klein die Tötungsentscheidungen schildert - als eine Art Prozess, bei dem der Geheimdienst als Quasi-Ankläger fungierte, die Ministerpräsidentin als Richterin; Klein scheut sich nicht, das Ergebnis des Prozederes (natürlich gab es keine Verteidiger...) "Todesurteil" zu nennen; verräterisch die Gerichtssprache, man kann sich aber vorstellen, dass die Akteure sich solch quasi-juristischer Denkweise befleißigten.

Klein stellt dann die israelischen Gegenschläge im Einzelnen dar - darunter den Geheimdiensterfolg, bei dem 1973 mitten in Beirut drei Top-Palästinenser im Schlaf zu getötet wurden. Daneben spart er (im Gegensatz zu Spielberg) das "Desaster von Lillehammer" nicht aus, bei dem im gleichen Jahr ein fälschlich als Terrorist verdächtigter Marokkaner in Lillehammer bei Oslo liquidiert wurde und einige israelische Agenten in norwegische Gefängnissse wanderten.

Gezielte Tötungen gehören heute weiter zum "Verteidigungs"-Repertoire Israels; der Terrorismus der palästinensischen Seite konnte nach den 70er Jahren eingedämmt, sein Wiederaufflammen in den 90ern dennoch nicht verhindert werden. Klein arbeitet heraus, wie bereits in den 70er Jahren das Märtyrer-Denken unter muslimischen Attentätern fest verankert war - und nicht erst in den späten 90er aufkam. Er konstatiert aber auch, dass sich auf Seiten Israels das ursprüngliche Ziel, Rache und Vergeltung für München zu üben, bald verselbständigt hat: Nur wenige der israelischen "Gegenschläge" richteten sich gegen tatsächlich an den Anschlägen von München Beteiligte.

Die Rächer - Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte. Von Aaron J. Klein. Deutsche Verlags Anstalt, München 2006. 296 Seiten, kt., e 18,40

In der Schlusssszene schwenkt die Kamera über Manhattan, wo noch die beiden Finger der Twin Towers gen Himmel ragen: Durch dieses Bild zeigt Steven Spielberg (2.v.li.), dass für ihn der 9. September 2001 sehr wohl etwas mit jenem 6. September 1972 zu tun hat, an dem die Terrorgruppe "Schwarzer September" mit dem Münchner Olympia-Attentat die Weltbühne betrat. Der Anschlag - elf israelische Sportler und Funktionäre wurden getötet -, ist die Eingangssequenz des neuen Spielberg-Films "München"; dann folgt fast drei Stunden lang israelische Vergeltung an den palästinensischen (Mit-)Tätern.

Der Film hat in den usa Kontroversen ausgelöst, weil er von der zunehmenden Entfremdung des israelischen Agenten Avner (dargestellt von Eric Bana, o.re.) handelt, der mit jedem der elf Attentate gegen die Hintermänner von München weiter in den Strudel des Zweifels gerät: Spielberg, der amerikanische Jude, verrate Israel, indem er die Täter auch als Menschen zeige und die israelischen Agenten als Mörder verzerre.

Diese Kritik klingt ähnlich wie vor einigen Wochen beim palästinensischen Selbstmordattentäter-Epos "Paradise Now" - und sie verfängt bei näherer Betrachtung hier wie dort nicht. Im Gegenteil: Spielbergs Annäherung an die komplexen Verflechtungen von Schuld-Gerechtigkeit-Rache-Abschreckung zeigt nachvollziehbar auf, dass die "Bösen" auch Menschen sind, und dass die "Guten" ebenso in einen unentrinnbaren Strom der Gewalt geraten können.

Das Problem von "München" ist nicht seine - sympathische - politische Botschaft, sondern die Vermengung von Fiktion und Tatsachen: Die Ausgangssituation - München 1972 - ist ebenso dokumentarisch wie die Grundzüge der Vergeltungsanschläge. Doch die Geschichte von Avner und seiner Gruppe emanzipiert sich von der historischen Wirklichkeit, sodass ein Agententhriller in der Nachfolge Eric Amblers übrig bleibt, exzellent gespielt: kein Wunder bei der Schauspielerriege!

Für einen Politthriller ist der Film aber zu lang geraten, sich durch elf Anschläge zu quälen, ist auch mühevolle Zuschau-Arbeit. Man soll Steven Spielberg, dem Zauberer auf der Großleinwand, aber nicht nur zugute halten, dass er auch diesen Film akribisch in Szene gesetzt hat, sondern dass er mittels seiner Reputation ein wirklich wichtiges Thema in die Waagschale des Diskurses wirft. Otto Friedrich

MÜNCHEN - Munich. USA 2006. Regie: Steven Spielberg. Mit Eric Bana, Daniel Craig, Ciaran Hinds, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler, Geoffrey Rush. Verleih: UIP. 164 Min.

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