sukka - © APA / AFP / Giuseppe Cacace   -   Sukka in Dubai/VAE

Von Sukkot bis Simchat Tora: Freudenfeste im Herbst

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Sukkot, das siebentägige Laubhüttenfest, und die unmittelbar darauf folgenden Feste Schmini Azere und Simchat Tora zeigen, wie sehr auch im gegenwärtigen Judentum Fröhlichkeit religiös ausgelebt wird.

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Sukkot, das siebentägige Laubhüttenfest, und die unmittelbar darauf folgenden Feste Schmini Azere und Simchat Tora zeigen, wie sehr auch im gegenwärtigen Judentum Fröhlichkeit religiös ausgelebt wird.

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Sukkot, das Laubhüttenfest, gehört zum dreiwöchigen Zyklus des jüdischen Neujahrsfestes. Es beginnt im Herbst am 15. Tischri, fünf Tage nach Jom Kippur, dem Versöhnungstag, und endet nach sieben Tage am 21. Tischri. Das Fest steht im Zeichen der Freude und Fröhlichkeit.

Tischri ist der erste Monat im bürgerlich-jüdischen Kalender; er kann in den Zeitraum von Ende September bis Mitte Oktober fallen. In Israel ist nur erste Tag ein Vollfeiertag, in der Diaspora sind es die beiden ersten Tage; die fünf Folgetage gelten als Halbfeiertage. Der letzte davon heißt
Hoschana Rabba (wörtlich: „Herr, hilf uns“, auch das „Große Hoschana“) und bildet den Abschluss des Laubhüttenfestes.

Das dritte Wallfahrtsfest

Hoschana Rabba hat bereits zur Zeit des Zweiten Tempels, der Ende des sechsten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung errichtet wurde, liturgisch eine Sonderstellung. Bis zu Hoschana Rabba kann der göttliche Urteilsspruch für das kommende Jahr noch durch gute Taten, Gebet und innere Einkehr abgeändert werden. An Sukkot schließen Schmini Azeret (der achte Tag der Versammlung) und Simchat Tora, das Tora-Fest, als eigene Festtage an. Das Laubhüttenfest wird heuer vom 9. bis 16. Oktober gefeiert, Schmini Azeret am 17. Oktober und Simchat Tora am 18. Oktober.

Sukkot ist das dritte Wallfahrtsfest (Schalosch Regalim) nach Pessach (im Frühling, zeitlich nahe zu Ostern) und Schawuot (50 Tage später, zeitlich nahe zu Pfingsten); es hat sich während der Zeit des Zweiten Tempels zu einem Erntedankfest herausgebildet. Zu den drei Wallfahrtsfesten pilgerten während der Zeit des Tempels tausende Juden nach Jerusalem, um Dankesopfer darzubringen.
Zu Sukkot setzte in Israel zu biblischen Zeiten meist der Winterregen des neuen Jahres ein. Es wird daher im Gebet von Sukkot bis Pessach täglich drei Mal die Lobpreisung Gottes, „der den Wind wehen lässt und den Regen herniederbringt“, eingefügt. Dadurch sind Pessach und Sukkot Anfang und Ende zweier natürlicher Jahreshälften Israels.

Der Dank für den Segen der Natur ist dem Ewigen geschuldet, daher wird zu Sukkot zu Ehren des Ewigen ein Feststrauß (Lulav) in den Händen der Beter getragen. Im Hallel-Gebet („Halleluja“ leitet sich davon ab) wird dieser Feststrauß unter Rezitation von Psalmen in sechs Richtungen (vier Himmelsrichtungen nach oben und unten) geschüttelt.

Der Lulav besteht aus vier Arten von Pflanzen (Arba‘a Minim): Dem Etrog, einer zitronenartigen Frucht, dem Lulav, dem Zweig einer Dattelpalme, der auch dem gesamten Strauß seinen Namen verleiht, den Hadassim (Myrtenzweigen) und Arawot, Bachweidenzweigen.

Den Etrog nimmt der Betende in eine Hand, Lulav, Hadassim und Arawot werden zusammengebunden und in der anderen Hand getragen. Die Arba‘a Minim haben jeweils unterschiedliche Eigenschaften und symbolisieren vier Menschentypen des jüdischen Volkes. Der Etrog duftet wohlriechend und schmeckt gut. Er entspricht jenem, der die Tora studiert und die Gebote einhält. Der Lulav ist geruchslos, aber seine Dattelfrucht schmeckt gut. Er entspricht dem Typ, der die Tora kaum studiert, aber Gebote und Pflichten erfüllt. Hadassim sind schön, aber riechen nicht. Damit ist jener gemeint, der die Tora studiert, aber die Gebote nicht hält. Arawot schmecken nicht und riechen nicht. Es ist damit jener gemeint, der weder studiert noch Gebote einhält. In der Symbolik bedeutet der gesamte Feststraußdie gemeinschaftliche Verantwortung aller.

Strauß aus vier Pflanzen

Im Talmud gibt es eine Erklärung, die die vier Arten und alles, was mit ihnen zusammenhängt, an die Schöpfung der Welt durch Gott erinnern lässt. Beim Schütteln des Lulav werden Segenssprüche gesprochen sowie Gebete um Regen für das Land Israel. Sukkot gilt aber nicht nur der Freude über die Einbringung der Ernte, sondern es hat wie alle drei Wallfahrtsfeste einen historisch-landwirtschaftlichen Doppelcharakter: den Auszug aus Ägypten und die Wüstenwanderung.

Das Laubhüttenfest erinnert an die Wüstenwanderung des Volkes Israel nach dem Auszug aus Ägypten. Während des Festes soll in einer Laubhütte (Sukka) gewohnt werden – geschlafen, gegessen und gefeiert –, um sich das provisorische Leben während der Wüstenwanderung zu vergegenwärtigen.
Das Gebot, in der Sukka zu sitzen, hat auch einen religiösen Hintergrund, der im biblischen Buch Levitikus, dem dritten Buch Mose (Lev 23,42–43), erwähnt wird: „In Hütten sollt ihr wohnen viele Tage; alle, die in Israel einheimisch sind, sollen wohnen in Hütten, damit es eure Nachkommen erfahren, dass Ich in Hütten habe wohnen lassen die Kinder Israels, da Ich sie herausgeführt habe aus dem Lande Misrajim (Ägypten).“

In der talmudischen Zeit erhielt Sukkot eine neue, wichtige Bedeutung: Die Lesung der gesamten Tora (aller fünf Bücher Mose) wurde zu Simchat Tora, dem Tora-Freudenfest, beendet und sofort wurde mit der Lesung der Genesis, des ersten Buches Mose, begonnen. Daher erklärt man diesen Tag zum „Fest der Tora-Freude“.

Auf Sukkot folgt sofort Schmini Azere, das Schlussfest, welches in der Bibel als „Schlussversammlung“ des Volkes das Ende des dreiwöchigen Feiertagszyklus im Herbstmonat Tischri bezeichnet wird. Beim Gottesdienst zu Simchat Tora werden sämtliche Tora-Rollen der Gemeinde aus dem Schrein hervorgeholt und in feierlicher Prozession mit Tänzen und Gesängen siebenmal um den Almemor (Betpult des Vorbeters) herumgetragen gemäß dem Psalm 66: „Aus der Mitte soll mein Wort hervorgehen.“

Sukkot in der Bibel

Sukkot hat im Lauf der Zeit Veränderungen erfahren, die sich in biblischen und nachbiblischen Texten widerspiegeln. Im Buch Exodus (Ex 23,16–19) wird es als Chag haAssif, Fest des Einsammelns, bezeichnet. Im Buch Levitikus (Lev 23,34) heißt es Chag haSukkot, Laubhüttenfest, im fünften Buche Mose, Deuteronomium (Dtn 16,13-14), nennt man es Sman Cheruteinu, Zeit der Festfreude. Erst nach dem babylonischen Exil wurde das Datum auf den 15. Tischri festgelegt. Der nachexilische Prophet Ezechiel spricht von Sukkot.

Der Prophet Nehemia (Neh 8,15–16) gibt ausführliche Anleitungen zum Bau der Sukka: Sie soll das Provisorium des Lebens in der Wüste symbolisieren. König Salomo hat den Ersten Tempel zu Sukkot eingeweiht (1 Kön 8,2). Der Prophet Sacharja erwähnt die Gebete im Zusammenhang mit der Regenzeit und betont die Bedeutung von Sukkot als Erntedankfest. Flavius Josephus und Philo von Alexandrien erwähnen den Doppelcharakter von Sukkot als historisch-landwirtschaftliches Fest. Im Talmud wie im Gesetzeskodex des Schulchan Aruch aus dem 16. Jahrhundert sind Vorschriften über den Bau der Sukka (Traktat Sukka des Talmud) enthalten.

In Johannes 7,2–37 ruft Jesus am letzten Tag des Laubhüttenfestes diejenigen, die Durst haben, zu sich. Maimonides (Mose Ben Maimon, 1135–1204), einer der größten Philosophen des Judentums, symbolisiert die Sukka als Provisorium für das karge Leben Israels in der Wüstenzeit und mahnt zur Bescheidenheit (Sach 14,16-19). Der große jüdische Bibelexeget Raschi (Rabbi Schlomo Ben Jitzchak, 1040–1105) und ihm nachfolgend Nachmanides (Rabbi Mosche ben Nachman, 1194–1270) sehen in der Sukka ein Symbol für den göttlichen Schutz. In der neo-chassidischen Chabad-Bewegung wird auf die großen jüdischen Gelehrten hingewiesen, denen zufolge alle Juden unter der Sukka zusammensitzen werden, wenn derMessias kommt.

Geschichtlich interessant ist, dass nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 70 unserer Zeitrechnung, Juden, die sich in Italien, auf Sizilien, in Griechenland und in Spanien ansiedelten, die Zitronenfrucht Etrog, die sie zuvor im Heiligen Land angebaut hatten, einführten.

Sukkot ist auch ein Ortsname, und zwar jenes Ortes im Nildelta, den die Juden nach dem Auszug aus Ägypten als erstes erreichten. Interessanterweise kommt das Wort bereits im Buch Genesis (Gen 33,17) vor, und zwar in der Erzählung über das Leben Jakobs: „Und Jakob brach auf nach Sukkot und baute sich ein Haus und seiner Herde machte er Hütten; daher nannte man den Namen des Ortes Sukkot (Hütten).“

Kunst und Literatur

Auch in Kunst und Literatur wird Sukkot thematisiert. Im Kunsthandwerk wurden besondere Silberbehälter zur Aufbewahrung des Etrog gefertigt. Auf verschiedenen Mosaiken im Heiligen Land wurden antike Darstellungen von Etrog und Lulav gefunden. Marc Chagall malte 1916 eine Laubhütte und einen Mann mit dem Lulav.

Von Isidor Kaufmann, einem bedeutenden Maler des 19. Jahrhunderts, gibt es zahlreiche Gemälde, die sich mit dem Thema Sukkot beschäftigen. Berühmt ist das Bild eines sephardischen Juden, der Lulav und Etrog in den Händen hält. Der Dichter Scholem Alejchem (1859–1916) hat sich in mehreren Kurzgeschichten mit dem Laubhüttenfest beschäftigt. Jizchak Leib Perez (1852–1916), einer der Großen der jiddischen Literatur, hat Sukkot in vielen Erzählungen behandelt. Auch der hebräische Dichter Chaim Nachman Bialik (1873–1934) hat Festfreude und Naturbegegnung zum Laubhüttenfest in seinem Gedicht „Fremde“ rezipiert.

Der Autor, Jg. 1944, überlebte
die Schoa als Baby in Wien und wirkte viele Jahre als Arzt.

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