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Weit ist das Land..

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Ebenso wie der vom Österreicher Frauen-d o r f e r (Hochschule für Bodenkultur) seinerzeit publizierte erste Band trägt auch der zweite Band der Ideengeschichte der deutschsprachigen Agrarpolitik den Stempel der Akribie in der Bearbeitung des weiten Stoffgebietes wie der Überschau, der Systematisierung des Denkens in der Bewältigung der agrarwirtschaftlichen Problematik.

Der zweite Band führt bis in die unmittelbare Gegenwart und ist ebenso wie der seinerzeit in der „Furche“ besprochene erste Band eine umfangreiche dogmengeschichtliche Stoffdarbietung.

Im Darstellungsbereich liegt die Herauslösung des agrarpolitischen Denkens aus der Periode des Liberalismus. Zwei Kriege und ihre Folgen haben offenbar werden lassen, daß die Versorgung der Volkswirtschaften nicht mehr mit den gleichen Methoden gesichert werden kann wie ehedem, da es nur um die Versorgung von Soldaten und einer gehobenen Schichte, einer „Elite“, ging, während die Masse der Nichtkombattanten in einer bemerkenswerten Unbekümmertheit unversorgt gelassen wurde. Ebenso ist man sich dessen bewußt geworden, daß in gleicher Weise wie die Agrarpolitik — die im Wesen eine Nateungsmittel-Vorsc¥g-ep-ölitik fffcus'sein Tiat tl^tm Konzept zur Sicherung des Bauernstandes aufweisen muß. r-EMe Schilderung-des Autors' ffihiir “w4“'8Wi agrarsoziologischen Denkweisen, die sich gerade in Deutschland lange zu halten vermochten, und ihrem Widerspruch zu einem konservativen agrarwirtschaftlichen Denken, zu den Ideen einer verbandlichen Autonomisierung des Bauernstandes.

Zu den Fragen der Bodenkollektivisierung wird ebenso Material geboten wie zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktionsweisen.

Waren ehedem die Arbeitskräfte im agrarwirtschaftlichen Bereich in einem Umfang vorhanden, der weit über die Nachfrage nach Arbeitskräften hinausging und Anstoß zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Landflucht war, kommt es allmählich zu einer Verknappung der Arbeitskraft und so zum Entstehen einer neuen Problematik.

Ein gesondertes und umfangreiches wie lesenswertes Kapitel ist der Agrarpolitik im nationalsozialistischen Staat gewidmet. Es ist interessant, in einer Art natürlichen Phasenverlaufs zuerst die Erscheinungsweise des romantischen Denkens in der nationalsozialistischen Agrarpolitik feststellen zu müssen, der dann im Verlauf der Anreicherung mit Erfahrung die Hinwendung auch der Nationalsozialisten zum ursprünglichen agrarpolitischen Denken folgt, bis zum Konzept Thünens.

Ein Kapitel ist der österreichischen Agrarpolitik gewidmet (1919 bis 1938) und bringt eine ausgezeichnete Zusammenschau der wesentlichen Ideen, die in der Agrarpolitik unseres Landes im angeführten Zeitraum bestimmend waren.

Im letzten Kapitel befaßt der Autor sich eingehend mit der so gut wie restlosen Entmachtung der Landbesitzer in den sogenannten agrardemokratischen Staaten des Ostens. Gleichzeitig setzt auch in den westlichen Staaten die zweite große Welle an Landflucht ein. Die Landwirschaft verliert endgültig ihre Position, die sie bis 1938 in der kontinental-europäischen Wirtschaft noch innegehabt hatte.

Nach 1945 setzt sich die Idee einer globalen Agrarpolitik durch. Da$ Gedankengebilde „Weltwirtschaft“ wird allmählich in weiten Bereichen der Erde zur Wirklichkeit.

* Ost* und Westdeutschland fallen nun auseinander. Das, was sich im Raum der Politik vollzieht, das durchaus Unterschiedliche in der Politik der beiden Deutschland, ist nirgendwo so eindeutig ausgewiesen wie in der Agrarpolitik, in der Art des Eigentumsgebrauches. In Ostdeutschland verfestigt sich die für diesen Teil Deutschlands ohnedies schon charakteristisch gewesene großbetriebliche Wirtschaftsform im Sektor der agrarischen Produktion.

Die europäischen Gemeinschaften mit ihren Versuchen, einen neuen, offenen und allen Völkern „Gemeinsamen“ Markt zu organisieren, machen, auch wenn sie noch dürftige Wirklichkeit sind, ein neues Konzept in der Agrarpolitik notwendig. Gleichzeitig deutet sich in einer unverkennbaren Weise die Lösung der Gewinnung der Nahrungsmittel von der traditionellen pflanzlichen und tierischen Grundlage an: Lebensmittelsynthese.

Das Buch ist mehr als eine Ideengeschichte, es ist eine Materialsammlung, an der niemand vorbeigehen kann, der sich über die repräsentativen Gedanken der modernen Agrarpolitik unterrichten will.

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