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Eine SPÖ ohne Vieh

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Bekanntlich hat die Sozialistische Partei beziehungsweise ihre ökonomische Versammlung den Entwurf eines Programms für die Reform der österreichischen Wirtschaft vorgelegt. Kapitel 10 dieses umfangreichen Elaborats behandelt die Neugestaltung der Agrarpolitik.

Der erste Satz lautet: „Die Bauern sind Opfer einer falschen Agrarpolitik.“ Warum die Agrarpolitik falsch ist und wieso die Bauern das Opfer dieses Fehlers sind, wird nirgends erklärt. Der negative Satz ist propagandistisch gut, lapidare Sprache ist in der Politik erwünscht. Da aber die Fehler nicht diagnostiziert sind, fehlt es an geeigneten Verbesserungsvorschlägen. Nicht, daß es an positiven Vorschlägen überhaupt fehlen würde. Durchaus nicht. Hinweise, wie im Punkt 5 auf die Notwendigkeit einer Vergrößerung vieler österreichischer Landwirtschaftsbetriebe sind vom Standpunkt der-Sozialisten sogar als ausgesprochen sensationell zu werten, wenn man berücksichtigt, daß die Partei hier eigentlich immer für eine Verkleinerung eingetreten ist und in diesem Sinne seinerzeit nach dem ersten Weltkrieg eine Bodenreform begehrt hat. Aber die konkreten Vorschläge zu Änderungen in diesem Programmentwurf sind doch nur vereinzelt und außerdem fast alle schon längst ohn SPÖ auf dem Weg zur Verwirklichung, wie etwa die Forderung nach einer Anpassung an die wirtschaftlichen Strukturveränderungen im allgemeinen.

Die Blutarmut des sozialistischen Programmentwurfs in puncto Agrarpolitik ist aber am besten dadurch dokumentiert, daß dieser Entwurf wohl immer wieder vom Boden, aber nicht vom Vieh redet. Anscheinend ist es den sozialistischen Programmstrategen unbekannt geblieben, daß die tierische Produktion in Österreich zum Beispiel im Jahre 1966, 17,5 Milliarden, die pflanzliche Produktion dagegen nur 7,4 Milliarden erreichte. Wäre ihnen dieses Verhältnis bekannt, dann hätten sie sich unbedingt mit der Eigenart jener Produktion befassen müssen und es wäre ihnen nicht entgangen, daß gerade hier die größten Strukturschwierigkeiten vorliegen, aber auch die einschneidendsten Strukturänderungen durchgeführt werden. Unsere Sozialisten orientieren sich offenbar an den Bodentheorien von Karl Marx (der vom Vieh wenig Ahnung hatte) und nicht an der schon in der Mittelschule erlernbaren Tatsache, daß bereits die Römer ihrem Vieh, lateinisch pecus, entscheidende Bedeutung beimaßen, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß sie von der Bezeichnung für das Vieh ihr Wort für Geld — lateinisch pecunia — ableiteten. Wenn auch das SPÖ-Wirt- schaftsprogramm sich mit einigen „pekuniären“ Fragen der Landwirtschaft befaßt, so hat es doch nicht die eminente Bedeutung dieser beweglichen Sache, die man „Vieh“ nennt und die .ekier de | b ejürrra samsten Wirtschaftsfaktoren unseres

Landes ist -die Viehproduktion -ist’.-.

größer als die Stahlproduktion —, erfaßt. Man wird sicher von Seiten der sozialistischen Theoretiker einwenden, daß auch das Vieh vom Boden lebt, aber schon dieser Einwand ginge fehl. Man denke nur an das Fischmehlfutter und das Erdöleiweiß, das man in der tierischen Produktion verwertet oder etwa daran, daß eine moderne Hühnerfarm mit 20.000 Hühnern an Boden niiht mehr braucht als den des Stalles. Mit bodenpolitischen Reformen wie Kommassierung, Vergrößerung, Aufstockung usw. ist wenig anzufangen, wenn es um die Produktionsleistung und Kapazitätssteigerung der tierischen Einheit geht. Daß wir hier fast, vor demselben unheimlichen Problem der Folgen von Wissenschaft und Technik stehen wie bei der Kapazitätssteigerung der Maschinen, das merkt das SPÖ-Pro- gramm nicht, denn es kennt weder Vieh noch Viehzucht und daher hat es auch nichts zur Reform des Hauptgebiets unserer Agrarwirtschaft zu sagen. Schade!

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