Vindobona nicht älter als Camuntum

Gab es in den Tagen des römischen Kaisers Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.), als sein Stief-, Adoptiv- und Schwiegersohn Tiberius 6 n. Chr. von Camuntum auszog, um das Land des Markomannenkönigs Marobod jenseits der Donau zu erobern, auf Wiener Boden bereits ein römisches Militärlager?

Schriftliche Quellen sprechen von Vindobona zum ersten Mal erst im Zusam menhang mit einem um 81 bis 96 n. Chr. stationierten britischen Reiterregiment. Archäologisch abgesichert ist dann das ab 98 n. Chr. zur steinernen Festung ausgebaute, 18,3 Hektar große Legionslager, dessen Mauern entlang dem Graben, der Naglergasse, dem Heidenschuß, Tiefen Graben, Maria am Gestade, Rotgasse, Kramergasse und Rabensteig verliefen.

Nun aber ist der Wiener Stadtarchäologe Ortolf Harl überzeugt, im Areal des Innenhofes des in Sanierung befmdlichen Palais Harrach auf der Freyung – und somit rund 80 Meter von der Lagermauer beim Heidenschuß entfernt – auf Spuren eines römischen Holzkastells aus augusteischer Zeit gestoßen zu sein.

Diese Spuren bestehen aus Kleinfunden, darunter zwei Lanzenspitzen, einigen Gewandnadeln und einer spätkeltischen Keramik, wie sie der Prähistoriker Richard Pittioni ähnlich vor vierzig Jahren auch im dritten Wiener Gemeindebezirk am Rand der römischen Zivilstadt Vindobona feststellte.

Nicht zuletzt aber besteht die römische Hinterlassenschaft aus „Pfostengräbchen “, wie sie vermoderte Holzbauten hinterlassen, sowie aus quer über den Hof ziehenden Resten einer Straße, die vielleicht die Achse des Lagers gebildet hat. Die Frage, ob das Holzkastell kontinuierlich bis zur Errichtung des Steinlagers etwa um 90 n. Chr. bestanden hat oder schon früher aufgegeben wurde, wagt Harl nicht zu beantworten.

Für Werner Jobst, Ausgräber in Carnuntum, reichen die Funde nicht aus, um auf ihnen die Theorie aufzubauen, Vindobona wäre der älteste Militärstützpunkt im Donauraum gewesen.