"Deine Fresken bleiben"

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Der Nötscher Kreis, ein Kapitel österreichischer Kunstgeschichte: Sebastian Isepp (Hofmannsthals "Schwieriger"), Franz Wiegele und Anton Kolig,dessen Fresken im Kärntner Landhaus zerstört wurden.

Hoffentlich hat kein Journalist bemerkt, dass ich mir diese Schweinereien angesehen habe", sagte Erzherzog Franz Ferdinand 1911 beim Verlassen der Hagenbund-Ausstellung in Wien, auf der Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Anton Kolig, Franz Wiegele, Sebastian Isepp und Anton Faistauer an die Öffentlichkeit traten. Der "Hagenbund" war eine Abspaltung von der 1898 entstandenen "Sezession". Da die Ausstellung in Wien einen Skandal hervorrief, beschloss der Galerist Carl Moll, Wiegele und Kolig ein Stipendium nach Paris zu vermitteln, um sie zunächst einmal aus der Schusslinie der Kritik zu ziehen.

Seinen Anfang nahm der "Nötscher Kreis" mit dem Bauernsohn Sebastian Isepp, der 1903 das Studium an der Akademie der bildenden Künste begann und 1907 Franz Wiegele nachzog, gleichzeitig mit dem aus Mähren stammenden Anton Kolig; hier lernten sie auch Kokoschka kennen, der 1907 bekannte: "Mir ist es so schwer, nicht auf den Isepp neidisch zu sein." Die Beziehung zwischen Kokoschka und Isepp dauerte fast ein halbes Jahrhundert, von dem beide einen Großteil in London verbrachten.

Der Maler Sebastian Isepp

Der Begriff "Nötscher Kreis", zu dem gelegentlich auch Gerhard Frankl gezählt wird, nicht aber Anton Mahringer als der am längsten bei Nötsch lebende Vertreter, ist nicht unproblematisch. Wie kam es, dass ein kleines Dorf im Gailtal zum Focus einer der wichtigsten Kunstzirkel in Österreich im 20. Jahrhundert wurde? Isepp, der "spiritus rector" des Kreises, lebte seit 1903 höchstens in den Ferien in Nötsch; er verkehrte in Wien im Kreis um Hugo von Hofmannsthal, emigrierte 1938 mit seiner jüdischen Frau nach London und pflegte keine Kontakte mehr nach Kärnten. Wiegele reiste 1912 mit seinem Schwager Kolig nach Paris, das für beide später zum "verlorenen Paradies" wurde, aus dem sie durch den Ersten Weltkrieg vertrieben wurden.

Isepp wurde im Ersten Weltkrieg am Isonzo verschüttet; er malte danach wenig und arbeitete als Restaurator. Um 1910 hatte er in der Wiener Familie Schwarzwald den Komponisten Egon Wellesz kennen gelernt, dem er freundschaftlich verbunden blieb. Wellesz machte ihn mit Hugo von Hofmannsthal bekannt, in dessen Kreis er auch seine spätere Gattin kennen lernte und der ein wichtiger Bezugspunkt für ihn blieb. Hofmannsthal verewigte ihn als "Der Schwierige" in seinem Theaterstück. 1929 schrieb Hofmannsthal an Carl J. Burckhardt: "Isepp ist eine unwahrscheinlich angenehme Gesellschaft. Alle diese komplizierten Ingredienzen: die bäuerische und doch vornehme Herkunft, die sorglosen Jugendjahre als armer Künstler und hübscher junger Mann, die grausigen Schrecken von fünf Isonzoschlachten, Mut und Ausdauer und physische Angst bis fast zur Zerrüttung - Musikalität, ein zartes unendlich getrübtes Auge, heute auch schon ein großes Wissen um die Kunst - ein Etwas von Bohème und ein Etwas von Weisheit - das Ganze ist wie ein unglaublich raffiniert gemischtes und dabei sehr leichtes Getränk."

Freund Hofmannsthals

Isepp begleitete die Hofmannsthals auf drei Reisen nach Italien. Als Isepp 1924 mit Kokoschka und Adolf Loos nach Paris reiste, kümmerte er sich um Christiane von Hofmannsthal, die mit ihm und Rilke im gleichen Hotel wohnte. Hofmannsthals Freund Zifferer berichtete dem Vater, dass die Tochter mit Isepp bei ihm zu Gast sein werde. "Ich freue mich schon sehr auf sie, und werde, was den guten Wastel anlangt, mein Möglichstes tun, um ihn zu vorteilhaften Kunstschiebungen zu veranlassen, die es ihm gestatten, sich unserer fröhlichen Karawane anzuschließen."

Vom Hagenbund her waren Wiegele und Kolig mit Egon Schiele befreundet. Wir wissen aus einem Schreiben aus Paris 1914 von Wiegeles Beziehungen zu Schiele, der für ihn Bilder verkaufte. Als er Geld brauchte, schrieb er Schiele: "Nun bitt ich Dich noch schreib mir von Deinen Arbeiten. In der Rue Lafitte hab ich einmal eine Zeichnung von Dir in der Auslage gesehen. Das ist aber auch alles, was ich seit langem von Dir weiß." Auch Kolig stand mit Schiele in Briefkontakt. Er versuchte unablässig Bilder zu verkaufen, um seine Familie zu ernähren. Als Schiele 1917 für das Kriegsministerium eine Ausstellung von Kriegsmalern zu organisieren hatte, versuchten Kolig und sein Freund Faistauer, hier Bilder an den Mann zu bringen. Schiele aber beklagte sich, dass die beiden keine eigentlichen Kriegsmaler seien. 1918 kam Schiele nach Kärnten; im Klagenfurter Künstlerhaus sah er die ersten Bilder Herbert Boeckls. Die Verhandlungen mit Kolig über den Verkauf seiner Bilder gingen weiter.

Wiegele geriet auf einer Reise von Paris nach Algerien in Gefangenschaft und lebte von 1916 bis 1925 in Zürich im Kreis um den Komponisten Othmar Schoeck und den Dichter Hermann Hesse. Am 9.4.1921 vermerkte Hofmannsthals Tochter Christiane im Tagebuch: "Gestern war Wiegele heraußen. Er schaut entzückend nett aus, klein unscheinbar mit brennenden Augen. Wir waren alle verliebt in ihn." Am 29.8. notierte sie in Aussee: "Isepp einen Monat bei uns, und furchtbar nett". Am 8.2.1922: "Wiegele war in Wien. Ich verbrachte einen hübschen Abend mit ihm bei Isepp und war auch im Museum bei ihm."

Kolig malte nach dem Ersten Weltkrieg in Wien im Kreis um die Journalistin Berta Zuckerkandl und war 1928 -1944 Professor an der Stuttgarter Kunst-Akademie: Nur in den Ferien hielt er sich mit den Studenten in Nötsch auf, wo sein schwäbischer Schüler Anton Mahringer von 1930 bis zu seinem Tode 1974 lebte.

"Koligsaal" in Klagenfurt

1929/30 malte Kolig im Landhaus zu Klagenfurt in dem später so genannten "Koligsaal" die berühmten Fresken, die 1938 von den Nationalsozialisten abgeschlagen wurden. Der sozialdemokratische Landesrat Mathias Zeinitzer - den Wiegele porträtierte - unterstützte den Maler, dem er 1931 angesichts der Kampagne deutschnationaler Kreise schrieb, ihm seien die "Urteile der hier ansässigen Leute ganz bedeutungslos"; er wolle sich "den gewaltigen Eindruck, den ich von dem Werk empfangen habe, durch dummes Gerede nicht verderben lassen". Auch Wiegele bemühte sich bei seinen Kontaktpersonen für den Erhalt der Fresken und konnte ihm mitteilen: "Deine Fresken bleiben. ... Toni, ich an Deiner Stell' tät denen ernstlich vorschlagen, gegen Entgelt natürlich, die Fresken weiter zu malen." Bemerkenswert ist, dass die 1935 verhängten Fresken nach dem "Anschluss" weniger durch deutsche nationalsozialistische Kreise als durch rechtsradikale Kreise in Kärnten zerstört wurden.

Anerkennung kam zu spät

"Ich bin sehr einsam geworden und daher froh, ein paar Zeilen zu erhalten, die ein Wiedersehen in Aussicht stellen. Auch ich bin ganz aus der Ordnung und aus dem Gleichgewicht und mein Tagebuch sollte nicht nur gereinigt und wieder in Stand gesetzt und abgeschlossen werden. Noch ist heute die Stille - dazu ich brauchte ein eigenes Lager, ja ein eignes Zimmerchen in diesem Konzentrationslager, zu dem sich Nötsch für mich ausgewachsen hat." Diese Bemerkung notierte Kolig Ende 1947 auf einen Brief von Gerhard Frankl. Nach dem Bombenangriff vom 17.12.1944, bei dem Wiegele in seinem Atelier den Tod fand und Koligs Familie verschüttet wurde, war es noch einsamer um den Maler geworden.

Anton Mahringer erlangte vor allem als Landschaftsmaler Bedeutung. 1947 nahm er mit dem Schriftsteller Michael Guttenbrunner Kontakt auf. Er und Maria Lassnig suchten Kontakt zu Kolig. Isepp lebte in London, wo er mit Kokoschka in Verbindung war. "Die Nötscher Malerkolonie ist vernichtet, der Malerwinkel zerstört. Das Haus, Atelier meines Schwagers Franz Wiegele ist von drei schweren Bomben zertrümmert, Franz, seine Mutter und seine Schwester ... sind getötet ...", schrieb Kolig Ende 1944. "Ich bin doch ein Fremdkörper unter den primitiven Menschen meiner Umgebung (Bauern, Hirten und Jägern), weil sie doch mit meiner Malerei nichts anzufangen wissen." Er arbeitete bis zu seinem Tod 1950 in einem Ort, den er mehrfach als "Konzentrationslager" bezeichnete. Mahringer musste als Hauptschullehrer sein Dasein fristen.

Die breite internationale Anerkennung kam für die Nötscher Maler zu spät; eine Stellung in den USA war auch für Kolig in den letzten Jahren seines Lebens ein Wunschtraum, der sich nie erfüllen sollte. Prophetisch war seine Notiz vom 20.5.1949: "Seit die Kunst politisiert, benutzt und zum Brauchtum wurde, wird sie als Rattenfängerflöte missbraucht."

Der Autor ist Historiker in Klagenfurt.

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