"Erstes Gebot: Du sollst genießen“

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Interview • Dorli Muhr, Marketing-Expertin und Winzerin, über Sehnsucht, Emotion und Moses’ kleines Missgeschick.

Auf den Geschmack kam Dorli Muhr über die Sprache: In ihrem Dolmetschstudium spezialisierte sie sich auf Weinkunde. Als sie ihre eigene Wein Marketing-Agentur gründete, war sie erst 26 Jahre alt. Das ist mehr als zwanzig Jahre her. Seither hat sich die österreichische Weinszene stark verändert - und Dorli Muhr ist selbst unter die Winzer gegangen.

Die Furche: Bei der Hochzeit der schwedischen Prinzessin Madeleine vor zwei Wochen wurde südsteirischer Wein der Familie Polz gereicht. Ein Marketing-Coup?

Dorli Muhr: Absolut. Allerdings funktioniert so etwas nicht aus dem Blauen heraus. Das Königshaus hat einen Lieferanten, der wiederum auf den Händler der Familie Polz vertraut. Die große Frage ist dann, ob der Lieferant dem Königshaus diesen Wein auch vorschlägt.

Die Furche: Wie wird ein Wein prominent?

Muhr: Eine schnelle Antwort darauf gibt es nicht. Es spielen immer ganz viele Faktoren zusammen. Man braucht mindestens zehn Jahre Vorlauf. Dann müssen die richtigen Leute zusammen kommen. Und natürlich braucht es die richtige Aufmachung und - das versteht sich von selbst - Qualität. Ein schlechter Wein wird nie prominent. Wein hat immer mit Vertrauen und Emotion zu tun, das muss man über Jahre aufbauen - bei den Händlern, den Gastronomen, Sommeliers, den Endverbrauchern. Von heute auf morgen geht gar nichts beim Wein.

Die Furche: Warum ist das gerade bei Wein so wichtig?

Muhr: In der Zielgruppe, die Wein nicht wie Mineralwasser kauft, um eben ein paar Flaschen zu Hause zu haben, sondern die sich wirklich damit auseinandersetzt und nachdenkt, was sie konsumiert, hat Wein die Funktion, eine Sehnsucht zu stillen. Wein ist ganz stark Ausdruck meines Lebensbildes, meiner Weltanschauung. Welchen Wein ich trinke, reflektiert, wer ich bin. Oder, wer ich sein möchte.

Die Furche: Wodurch unterscheiden sich ein Rioja-Trinker und ein Pinot Grigio-Trinker?

Muhr: Wir gehen hier natürlich sehr ins Klischee, aber ich will es probieren: Der Pinot Grigio-Trinker fühlt sich eher jung und frei. Der Rioja-Trinker fühlt sich als einer, der sich mit dem Thema Wein auseinandersetzt, auch gerne darüber redet, vielleicht war er schon dort. Auf jeden Fall hat er eine Geschichte zu erzählen. Meine Lieblingsweißweine zum Beispiel heißen Meursault und kommen aus der Region Burgund. Sie sind sehr schwierig, anspruchsvoll, viel Säure und Gärstoffe. Aber für mich ist es beim Wein wie bei der Musik: Am Anfang hört man zugänglichen Pop, später dann vielleicht Richard Strauss oder Jazz.

Die Furche: Ist es nicht oft so: Im Urlaub sitzt man in der Abendsonne und genießt einen wunderbaren Wein. Dann nimmt man sich einen Karton mit nach Hause, aber im eigenen Wohnzimmer ist von der Begeisterung nicht mehr so viel übrig …

Muhr: Genau das ist die Emotion, die ich meine. Man ist viel leichter bereit, einen Geschmack auf sich wirken zu lassen, wenn man alles andere ausschaltet. Es ist eine der schwierigsten Übungen, sich unvoreingenommen und objektiv mit einem Geschmack auseinanderzusetzen. Das merke ich sogar bei meinen eigenen Weinen: Die sind nicht so zugänglich, schmecken nur einer gewissen Minderheit. Letztens war ich bei einer Blindverkostung von Rotwein-Cuvées aus Carnuntum, wo auch ich meinen Wein mache. Bei den ersten Weinen habe ich mir noch gedacht "Sind die kitschig“. Als dann mein eigener Wein mit der Nummer zehn kam, konnte ich mich aus der rundlichen Fruchtatmosphäre der anderen Weine gar nicht mehr rausnehmen und empfand ihn als hart und grün. Obwohl ich weiß, das meine Weine toll sind und von Experten hochbewertet werden. Aber: Selbst wenn man versucht, sich ganz aufs Produkt zu konzentrieren, gelingt es nicht immer.

Die Furche: Welche Geschichte erzählen Ihre Weine?

Muhr: Die Geschichte vom Spitzerberg, auf dem sie wachsen. Der ist sehr speziell. Es wäre ein Fehler, wenn ich versuchen würde, die Weine anders hinzubiegen, damit sie gefälliger sind. Deshalb mache ich pur das, was hier wächst. Und das ist etwas für sehr fortgeschrittene Weinkenner. Leute, die in der Musik schon beim Free Jazz angekommen sind.

Die Furche: Was macht einen Winzer zu einem Spitzenwinzer? Nur das Marketing?

Muhr: Nein, das beginnt mit der Auseinandersetzung mit dem Wein. Beim Bestreben, einen Weg zu finden, den Weingarten idealtypisch und individuell in die Flasche zu bringen. Ohne dieses Gefühl und natürlich das Handwerk geht da nichts. Erst dann kommt die Vermarktung ins Spiel. Sie zu verurteilen ist ein Blödsinn. Ich habe selbst am eigenen Wein gemerkt: Auch in der Fachwelt nützt es nichts, wenn ich einen grandiosen Wein einfach hinstelle. Weil sich gerade die anspruchsvolle Qualität nicht von selbst erklärt. Ich muss die Geschichte dahinter erzählen, was ich mir dabei gedacht habe, warum er genau so schmeckt.

Die Furche: Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie vor zehn Jahren beschlossen haben, selbst Wein zu machen?

Muhr: Mich hat schon immer interessiert, wie es funktioniert, dass ich ein Stück Erde in einer Flasche schmecke. Die Abläufe, die dafür sorgen, dass ich in ein Glas rieche und sage "Meursault“ oder "Südsteiermark“, das ist meine große Faszination. Dazu kommt, dass ich in der PR meinen Erfolg an Werbeequivalenten oder Besucherzahlen ablesen kann. Aber das war mir zu wenig, ich wollte etwas angreifen. Wenn du selber Wein machst und beobachtest, wie er sich über Jahre verändert, wie er reift, zu einer Persönlichkeit wird, ist das so aufregend, wie wenn man Kinder hat.

Die Furche: Hat Sie das Weinmachen verändert?

Muhr: Was alle Winzer eint, ist eine gewisse Demut vor der Natur. Man kann Konzepte schreiben, Strategien planen, aber wenn es im September regnet, muss man damit umgehen. Ich bin noch respektvoller geworden für die Produktion von anderen. Und habe das Wissen, dass man sehr sehr lange daran arbeiten muss. Wein als Generationenprojekt zu betrachten, ist sehr wichtig: Wenn du eine Rebe pflanzt, trägt sie nach drei Jahren die erste Ernte. Dann kommt bald die Pubertät, mit mengenmäßig schönem Ertrag, aber du hast noch keinen großen Wein. Wirklich anspruchsvoll wird es ab einem Alter von 30. Das heißt auch: Mit dem, was ich jetzt pflanze, wird die nächste Generation arbeiten. Dafür arbeite ich auch mit 60 Jahre alten Reben. Dieser wirklich nachhaltige Ansatz macht den Wein aus. Und genau das stillt die Sehnsucht, von der ich gesprochen habe.

Die Furche: Woher kommt die?

Muhr: Ich habe da eine Theorie: Wir kommen mit diesem unglaublich genialen Körper auf die Welt, aber haben keine Anweisung, was wir mit ihm tun sollen. Deshalb glaube ich an einen Irrtum: Als Moses die Gebote aufgeschrieben hat, war er im ersten Moment ein bisschen überrumpelt. Bis er kapiert hat, dass er mitschreiben soll, war Gott schon beim zweiten Gebot. Das erste Gebot, das Moses nicht aufgeschrieben hat, heißt: Du sollst genießen. Wieso hätten wir sonst diesen Körper, wenn wir nicht den Auftrag hätten, ihm Gutes zu tun?

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