6615675-1955_30_02.jpg
Digital In Arbeit

Um Leben und Tod

Werbung
Werbung
Werbung

Wie die Steinchen eines Mosaiks, so fügen sich die Vorkommnisse zu einem schrecklichen Bild der modernen Frau Justitia zusammen.

In Amerika sitzt ein Mann seit Jahren in der Todeszelle. Amerika besitzt zum „Schutz des Individuums“ Gesetze, die es ermöglichen, eine Hinrichtung ein- halbes Leben lang hinauszuzögern.

Zum „Schutze der Gesellschaft“ wird das Urteil dann so gut wie immer doch vollstreckt.

Wenn Herrn Chesney gleich Pardon gegeben worden wäre, hätte er sich vielleicht schon längst bewährt. Hätte man ihn aber gleich vom Leben zum Tode gebracht, wäre ihm und anderen viel Leid erspart geblieben, der Welt aber das traurige Schicksal vom Mann, der sich verzweifelt bemüht, das Damoklesschwert über seinem Haupt groschenweise zum Grundstein einer neuen Existenz umzuschmelzen.

In England wurde eine Frau wegen Mordes zum Tod verurteilt und kurze Zeit später hingerichtet. Tausende Menschen, unter ihnen Persönlichkeiten mit Rang und Namen, baten den Justizminister, der Königin ein Gnadengesuch vorzulegen. Der Herr Minister wollte nicht. Es ist schrecklich, daß ein Minister den Gnadenweg versperren kann.

Todesstrafe und Gnadenweg gehörten einst eng zusammen. Die Todesstrafe wurde beibehalten. Die Gnade wurde auf kaltem Weg abgeschafft, denn wenn ein Gnadengesuch nicht bis zum König gehen kann, kann der König auch nicht Gnade gewähren. Immerhin wird, als Folge des „Falles Ellis“, in England die Abschaffung der Todesstrafe vielleicht neuerlich diskutiert werden. Bisher wurde die Todesstrafe in England deshalb nicht abgeschafft, weil es das Volk nicht wollte. Vielleicht wird man sie — sollte sie inzwischen abgeschafft sein —, wenn ein besonders scheußliches Verbrechen die Gemüter erhitzt, wieder einführen.

Das römische Volk entschied mit einer Daumenbewegung über Leben und Tod des besiegten Gladiators. Pontius Pilatus fragte: Wollt ihr diesen oder wollt ihr jenen? Heute hat Frau Justitia manchmal einen Januskopf. Das eine Gesicht bleibt hart, wenn tausende um das Leben eines Menschen bitten. Das andere Gesicht nimmt die Binde von den Augen und fragt die Umstehenden: Auf welche Waagschale, meine Lieben, soll ich nun meinen Finger drücken?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung