Guckkasten voller Klischees

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Daniel Kehlmann hat mit seinem Roman "Die Vermessung der Welt“ Millionen Lesern begeistert. Ob das auch der Verfilmung gelingen wird, ist fraglich.

Hätte nicht Daniel Kehlmann am Drehbuch zu diesem Film mitgeschrieben, könnte man meinen, der Regisseur hätte den Roman missverstanden. So aber kann man sich nur wundern, wieso der Autor des so erfolgreichen Romans "Die Vermessung der Welt“ aus diesem selbst das macht, was seine Verfilmung nun ist.

Angesichts des hohen Bekanntheitsgrads des Romans genügt hier eine kurze Erinnerung an den Stoff: Mit Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß stellt Kehlmann ironisch zwei Typen von Wissenschaftern des 18./19. Jahrhunderts dar, die auf unterschiedliche Weise versuchen, zu Erkenntnis zu gelangen: Indem sie entweder - wie Humboldt - in die weite, unbekannte Welt ziehen, wo sie unermüdlich zählen, aufzeichnen, beschreiben, benennen, oder indem sie weltabgewandt am Schreibtisch sitzen und auf das Genie in sich hören, das ist die Gauß-Manier.

Im Film wird daraus ein Einerlei. In die weite Welt zieht da nicht einmal Humboldt, denn selbst wenn er durch Ecuador oder die Mongolei reist (und es wurde tatsächlich auch in Ecuador gedreht!), verlässt er den Guckkasten nicht, in den ihn Regisseur Detlev Buck mit seiner Inszenierung stellt. Für solche Bilder und Szenen hätte man Europa nicht verlassen müssen, Plastikpalmen hätten es auch getan. Verschärft wird der Eindruck von Künstlichkeit durch die 3D-Technik, die laut Regisseur die Erkenntnisse dieser beiden Genies näher bringen soll. Aber näher rückt da gar nichts, nur viel weiter weg. Aber auch als Äquivalent zur indirekten Rede taugt die Technik nicht.

So sehr Literaturverfilmungen immer als eigenständige Kunstwerke gelten wollen und sollen: In diesem Fall ist ein Vergleich mit der literarischen Vorlage sinnvoll, denn er macht deutlich, warum der Film nicht gelungen ist. Der Roman punktet nämlich mit Leichtigkeit und Witz und diese entstehen durch Stil und Erzähltechnik: Indirekte Reden und Zeitraffungen sorgen für Ironie und jenen gefälligen Ton, in dem auch Bildungsgut leicht verdaulich und vergnüglich dargereicht werden kann. Das mag mit ein Grund für den Erfolg dieses inzwischen in über 40 Sprachen übersetzten Weltbestsellers sein.

Der Film aber hat brachial alles Leichte getilgt und fährt im Gegenteil mit schweren Bild- und Kostümgeschützen auf, die jede Leichtigkeit im Keim ersticken. Die inszenierte Künstlichkeit wird durch die 3D-Technik noch verstärkt.

Farbenprächtige Klischees

Das Drehbuch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, und so kann man nachlesen, welch dünne Suppe aus dem Roman geworden ist. Im Interview in diesem "Buch zum Film“ erwähnt Kehlmann die Komplexität seiner beiden Helden: Auf der Leinwand sucht man diese Komplexität leider vergeblich. Vor allem Alexander von Humboldt, dargestellt von Albrecht Abraham Schuch, erscheint nicht wie ein Naturforscher, sondern wie ein deutscher Bühnendarsteller, der sich in den falschen Film verirrt hat.

Ein Klischee reiht sich an das andere, die Frauen rupfen Hühner, der Kaiser hat schlechte Zähne, der Lehrer schlägt. Die Frauen dürfen Busen und Po zeigen, wohl damit der Film auch ein bisserl gschmackig wird. Spätestens bei der farbenprächtigen Darstellung der Einheimischen in Ecuador, die kein Klischee auslässt, wie man sich "Wilde“ vorstellen kann, kommt Unbehagen auf. Hier wird in opulenten Bildern geschwelgt und dabei wird völlig vergessen, diese wenn schon nicht mit postkolonialem Blick, dann wenigstens mit Ironie zu entlarven.

Nun hat der übertriebene Einsatz von Klischees seine ästhetische Bedeutung, die Satire lebt davon. Hier aber weiß man am Ende gar nicht, was man gerade gesehen hat und wozu. Einen Kostümschinken, der sich über sich selbst lustig machen will? Die Ironie, die der Text bietet, geht im Film nicht auf, und an Übertreibung gibt es zu viel des Guten.

Ob man nun Kehlmanns Roman mag oder nicht: Wenn man den Film gesehen hat, sehnt man sich nach der Leichtigkeit der literarischen Vorlage.

Die Vermessung der Welt

D/A 2012. Regie: Detlev Buck. Mit Florian David Fitz, Albrecht Abraham Schuch, Jérémy Kapone, Vicky Krieps, Sunnyi Melles. Filmladen. 125 Min.

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