Spiel um Täuschung, Lüge und Illusion

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Die Festspiele in Reichenau dramatisieren Daniel Kehlmanns „Ruhm“ und zeigen, dass der Mensch nichts ist ohne die Aufmerksamkeit eines anderen.

Nachdem im Vorjahr der Auftritt von Milva für Schlagzeilen sorgte und der zu Theater gemachte Monumentalroman „Die Strudelhofstiege“ von Heimito von Doderer neugierig machte, landen die Festspiele in Reichenau auch in diesem Jahr einen besonderen Coup. Das umtriebige Intendantenpaar Renate und Peter Loidolt ließ Daniel Kehlmanns Bestsellerroman „Ruhm“ dramatisieren. Das Resultat ist ab heute bis zum 1. August in Reichenau zu sehen. Wir berichten von der Generalprobe.

Wie das Buch beginnt auch das Stück mit dem Klingeln eines Mobiltelefons. Eine technische Panne. Ebling, dem versehentlich die Nummer eines berühmten Filmstars vergeben wurde, fühlt sich auf einmal begehrt und berühmt. Der andere wiederum wird wenig später in der Geschichte mit dem Titel „Der Ausweg“ aus seiner Villa und allen Lebenszusammenhängen verdrängt, als er nicht mehr erreichbar ist und sich ein Double an seine Stelle setzt. Ausweg aus der Last der Berühmtheit?

Mobiltelefon im Mittelpunkt

Wer hat sie nicht manchmal die Sehnsucht ein anderer zu sein? Daniel Kehlmann hat diesen Wunsch zum zentralen Thema eines ironischen wie hintersinnigen Buches gemacht. In neun Geschichten, wie der im letzten Jahr erschienene Roman im Untertitel heißt, erzählt er davon wie die Kommunikationstechnologie das Leben der Menschen verändert, ihnen erlaubt aus dem eigenen kleinen Leben zu treten in ein anderes, vermeintlich besseres, interessanteres oder es möglich macht gleich mehrere Leben, ein Doppelleben mit zwei Frauen zu führen. Oder aber gar ein Leben völlig neuer Art immerhin vorstellbar macht.

Hilfreich in diesem Spiel um Identitätstausch, Ich- und Weltvervielfältigung, Lüge,Täuschung und Illusion sind die Segnungen der Kommunikationstechnologie und im Besonderen das Mobiltelefon, von dem es einmal heißt es nehme „die Wirklichkeit aus allem“. Und wo das Wirkliche schwindet wächst das Mögliche auch.

Verantwortlich für die Dramatisierung und Inszenierung in Reichenau ist Anna Maria Krassnigg, die im Salon5 in Wien schon Kehlmanns „Ich und Kaminski“ für die Bühne einrichtete und für Aufsehen sorgte. Auch diesmal ist ihr eine bemerkenswerte Leistung gelungen. Sie folgt der von Kehlmann vorgegebenen Chronologie und hat das komplexe Geschichtengebilde sinnvoll für die Bühne gekürzt und auf die pointierten Dialoge reduziert. Im Gegensatz zu Kehlmann, dem es weniger auf Charaktertiefe ankam, als um die virtuose äußerliche Verknüpfung von Motiven und das Ineinanderverspiegeln der Geschichten, geraten in der Inszenierung die Figuren naturgemäß konkreter. Das ist immer der Fall, wenn literarische Figuren einen Körper und eine Stimme bekommen. Am eindrücklichsten ist die Darstellung von Regina Fritsch in der Rolle der Maria Rubinstein, die im Kaukasus verlorengeht, weil ihr Handy versagt und sie so keine Möglichkeit mehr hat mit der Welt in Kontakt zu treten. Der Eindruck der Verlorenheit den sie mit ihrem Spiel hervorzurufen vermag, wird leider geschmälert durch die karikaturhafte Darstellung des kaukasischen Polizisten von Nicolaus Hagg.

Schriftsteller selbst präsent

Aber weil der Roman auch um das Wechselspiel von Realität und Fiktion, um Wirklichkeit und Literatur sowie um die Macht des Schriftstellers kreist, lässt Krassnig den Schriftsteller Leo Richter (ein Alter Ego von Kehlmann gespielt von Tobias Voigt) selbst immer im Bühnenraum präsent sein.

In der vielleicht schönsten Geschichte mit dem Titel „Rosalie geht sterben“ begehrt die literarische Figur einer krebskranken älteren Dame gegen das ihr vom Autor angedichtete Schicksal auf, was dieser zunächst strikt ablehnt, mit der Begründung es beschädige seine Prosa, bis er ihr doch hilft und hofft, dass dereinst jemand dasselbe für ihn tun werde. Und darin liegt die Botschaft dieses grossartigen Buches und der tollen Bühnenbearbeitung: dass der Mensch nichts ist, ohne die Aufmerksamkeit eines anderen!

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