"Literatur ist eine Droge"

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Schriftsteller Selim Özdogan über Bewusstseinsveränderung durch Bücher, die heutige "Drogengesellschaft" und die Legalisierung von Cannabis.

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Schriftsteller Selim Özdogan über Bewusstseinsveränderung durch Bücher, die heutige "Drogengesellschaft" und die Legalisierung von Cannabis.

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Mit seinem jüngsten Roman "DZ" (2013) hat Selim Özdogan einen vielschichtigen Text vorgelegt, der zwischen Utopie und Kunstmärchen, Thriller und Drama changiert (vgl. FURCHE Nr. 2/2014). Er erzählt von der "schönen neuen Drogenwelt" des Internets und von der vermeintlich freien Drogenkultur in einem utopischen Staat. Die FURCHE traf den deutschen Autor mit türkischen Wurzeln anlässlich eines Symposiums zum "Literaturdiskurs Drogen" in Ljubljana.

DIE FURCHE: Ihr jüngster Roman "DZ" erzählt von Drogentrips und der Magie der Sprache. Welchen Zusammenhang sehen Sie im Spannungsfeld von Literatur und Drogen?

Selim Özdogan: Unsere Wahrnehmung hängt an einem dünnen biochemischen Faden. Und sie wird dauernd verändert. Zum Beispiel durch das Lesen. Literatur ist die einzige Kunstform, bei der wir dem Helden in den Kopf schauen können, die Welt so wahrnehmen, wie er sie wahrnimmt. Literatur ist schon eine Droge. Ich verstehe grundsätzlich jede Kunstform als Droge, auch im Sinne eines Arzneimittels. Das ist ja der Grund, warum Bob Marley über das "eine Gute" bei der Musik sagt: "When it hits you, you feel no pain." Generell bietet uns Kunst etwas an, das Grenzen auflöst. So sagt man ja auch: "Ein Buch ist ein Paralleluniversum, in dem man leben kann".

DIE FURCHE: Um auf Bob Marley zurückzukommen: Gibt es bei Ihnen Lektüre-Erlebnisse, die Sie so richtig getroffen haben?

Özdogan: Es gibt wenige Bücher, wo ich fassungslos davor stehe, und sage: "Oh, das also kann Literatur bieten!" Das erste Buch, an das ich mich hier erinnere, ist "Schöne Verlierer" von Leonard Cohen. Es hat mir eine Welt eröffnet, die ich überhaupt nicht kannte. Das letzte Mal, wo das wirklich funktioniert hat, war bei der Lektüre von Jeff Noon. Der hat die naheliegende Idee aufgegriffen, als Autor Drogen zu erfinden. Das inspirierte mich in meinem Roman "DZ" zu einer fiktiven Droge. Denn Jeff Noon hat diese schöne Idee noch nicht ausgeschöpft.

DIE FURCHE: Seit der Romantik und Thomas De Quinceys "Bekenntnisse eines englischen Opiumessers" (1821) gibt es eine Tradition der "Drogenliteratur". Gibt es Werke, die hier wichtig für Sie sind?

Özdogan: Begeistert hat mich "The Electric Kool-Aid Acid Test" von Tom Wolfe. Es erzählt die Geschichte von Ken Kesey, der den Roman "Einer flog über das Kuckucksnest" geschrieben hat. Kesey machte Nachtwachen in der Psychiatrie. Irgendwann, so heißt es, verbrachte er diese Nachtwachen unter dem halluzinogenen Einfluss von LSD. Der Roman soll entstanden sein, weil er sich dadurch besser in die Welt der Geisteskrankheit einfühlen konnte. Auch Hunter S. Thompson habe ich gern gelesen, der ja auch als "Drogen-Literat" gilt. Dass bei seinem Roman "Fear and Loathing in Las Vegas" weit mehr dahinter ist, wird oft übersehen. Er wird immer als Vertreter der Gegenkultur wahrgenommen, aber er ist sehr amerikanisch geprägt: Er predigt Werte wie Individualismus und persönliche Freiheit, aber anders als der Mainstream. Thompson hat eine klare Haltung zu den Entwicklungen in den USA, und er war sehr hellsichtig: Dass die Hippie-Bewegung am Ende ist, hat dieser Mann schon 1969 gesehen.

DIE FURCHE: Sie meinen die Tatsache, dass die Hippie-Kultur von der Konsum-Kultur aufgesogen wurde - und der spirituelle Materialismus, der damit einherging?

Özdogan: Als politischer Mensch sah Thompson den Fehler der Hippies darin, dass sie tatsächlich glaubten, Liebe, Frieden und eine neue Weltordnung seien für jedermann um den Preis eines LSD-Trips erhältlich. Er kritisierte das fehlende politische Moment, das Bewusstsein dafür, wo und in welchen Strukturen man eigentlich lebt.

DIE FURCHE: Welchen Stellenwert haben generell veränderte Bewusstseinszustände?

Özdogan: Sie helfen dabei, sich selbst zu erfahren. Man sucht sie meist weit außerhalb des Alltags, etwa im Extremsport. Aber auch das Alltagsbewusstsein ist nicht immer gleich. Man ist morgens ein anderer Mensch als abends. Der Traum ist ein radikal veränderter Zustand, auch die Verliebtheit. Wenn man sich kurz um die eigene Achse dreht, bewirkt das schon eine Zustandsänderung. Und der Grund, warum wir so viel Zucker konsumieren, ist wohl ähnlich: Zucker führt zu einer Kurzzeit-Befriedigung, auch weil ein Belohnungseffekt im Gehirn entsteht.

DIE FURCHE: Das heißt, Sie plädieren für einen möglichst weiten Drogenbegriff?

Özdogan: Zucker verändert offensichtlich die Wahrnehmung und ist bekanntermaßen gesundheitsschädlich. Das sind schon zwei wichtige Kriterien für eine Droge. Aber das wird heute völlig ausgeblendet. Und dass wir Alkohol gemeinhin nicht als "Droge" wahrnehmen, ist ein vollkommener Irrsinn! DIE

FURCHE: Kritische Stimmen sagen, wir leben längst in einer "Drogengesellschaft"...

Özdogan: Koffein ist aus dem Leben der meisten nicht wegzudenken. Medikamente zur Behandlung von Normabweichungen wie Aufputsch- und Beruhigungsmittel sowie Antidepressiva sorgen für Gewinne der Pharmaindustrie. Und Alkohol ist ein soziales Schmiermittel. Es geht nicht darum, Alkohol zu verteufeln, doch er scheint mir aufgrund seiner Legalität weitgehend verharmlost zu werden. Der Tod vieler Popstars, die für ihren Drogenkonsum bekannt waren, geht in der Regel auf Alkohol zurück, etwa bei Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison, aber auch bei Amy Winehouse.

DIE FURCHE: In Ihrem Roman "DZ" sind Drogen legale Mittel in der Hand von Pharmakonzernen. Was halten Sie von der Legalisierung "weicher" Drogen wie Cannabis?

Özdogan: Was derzeit in den USA passiert, ist problematisch: Einzelne Bundesstaaten haben Cannabis legalisiert, aber es gibt keine wirkliche Regulierung dafür. Große wirtschaftliche Interessen sind stets schlecht für einen gesunden Umgang mit psychoaktiven Stoffen. Die gigantischen Zuwachsraten bei der Verschreibung mancher Psychopharmaka haben mit den ökonomischen Interessen der Pharma-Industrie zu tun. Wenn Cannabis auf den Markt kommt, würden wohl ähnliche Probleme entstehen. Wenn wir Drogen nicht regulieren, werfen wir nur ein Konsumgut auf den Markt, mit dem sich viel Geld verdienen lässt. Der Mensch kommt wieder einmal zu kurz. Ich sehe nicht, was dann mit der Legalisierung gewonnen wäre.

Das Gespräch führte Martin Tauss

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