Die Glutnester des Argwohns

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Eine kleine Zwischenbilanz zum aktuellen Wahnsinn: An Wiens Haustüren werden soeben 220.000 Namensschilder gegen anonyme Nummern getauscht.

Alle Eingänge nach Schönbrunn bekommen jetzt Poller ("zum Schutz gegen Ramm-Angriffe"). Kärntner-und Mariahilferstraße folgen.

Verkehrsfotos und Kameras auf öffentlichen Plätzen dürfen nun für Fahndungszwecke genutzt werden. Nächstes Ziel: ein Zugangsrecht der Polizei zu abertausenden privaten Überwachungskameras.

Vor einem Referat, das ich kürzlich in einer Gemeinde halten durfte, wurden die Zuhörer gemahnt: Wer nicht auf ein Foto geraten wolle, möge gehen.

Selbst in Orten, in denen jeder jeden kennt, sind Glückwunsch-Fotos von Jubilaren im Gemeindeblatt eigentlich nicht mehr erlaubt. Der Datenschutz erzwingt jedenfalls einen Hürdenlauf an Formularen.

Und: Alle Fußball-und Kinderspielplätze müssen auf ihre Panik-Tauglichkeit geprüft sein.

Ich frage mich: In welchen Morast an Ängsten, Misstrauen, Ab-und Ausgrenzung sind wir hineingeraten? Ist das alles eine Folge von 9/11 -auch wenn das Risiko, Opfer eines Anschlags zu werden, weitaus geringer ist, als an Vogelgrippe zu erkranken? Geht es wirklich nur um Schutz und Sicherheit (die es nie geben kann!), oder stehen auch andere Interessen dahinter - politisch, wirtschaftlich usw.? Und wie soll das weitergehen?

Die stille Botschaft heißt: Wo Poller einbetoniert werden, muss akute Gefahr sein. Wo Namen hinter Nummern verschwinden, ist die Gefahr bis tief ins Private vorgedrungen. Wo so sehr überwacht werden muss, ist Kontrolle wichtiger als Freiheit.

"Was haben wir falsch gemacht?"

Argwohn, Verunsicherung und Ängste sind zur Grundbefindlichkeit geworden: gegenüber allem, was von außen kommt; gegenüber allen, die uns etwas wegnehmen könnten -und allen, die uns im Weg stehen

Eine weltweite Gallup-Umfrage hat gezeigt: Das Glücksgefühl der Menschen hat sich von den messbaren Fakten abgekoppelt. US-Bürger liegen heute mit ihren Ängsten etwa gleichauf mit jenen der Zentralafrikanischen Republik -trotz der dort herrschenden Katastrophen!

"Was haben wir falsch gemacht?": Unter diesem Titel hat Erhard Busek vor Jahren zwei Dutzend Autoren meiner Generation zur schriftlichen Selbstkritik eingeladen. Mein Fazit damals: Wir haben einen schlimmen Verlust an Grundvertrauen zugelassen -und wohl auch mit bewirkt! Obwohl offenkundig ist, dass die Zukunft der Menschheit eine gemeinsame sein muss. Oder eben keine ist!

Am vergangenen Sonntag haben die Kulturphilosophen Aleida und Jan Assmann den "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" erhalten. Ihr Credo: Was heute so sehr fehlt, ist das Gefühl vertrauensvoller Zusammengehörigkeit. Die Welt braucht einen neuen "Gesellschaftsvertrag"!

Und: Wir alle müssen ihn mitschreiben -täglich.

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