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Eugene Delacroix

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Delacroix (1798 bis 1863) 1st eine gigantische Künstlerpersönlichkeit, deren Umrisse wir erst aus dem Zeitabstand eines Jahrhunderts zu erkennen vermögen. Er, der sich mit Sicherheit auf den Höhen des gesellschaftlichen Lebens von Paris bewegte, besaß eine umfassend reiche, durch kritisches Denken vertiefte humanistische Bildung; sein schöpferisches Temperament aber schäumte uferlos über die scharf gezogenen Grenzen seines bürgerlichen Daseins hinweg. Es suchte Befreiung und Erfüllung in den Sphären heroischen Lebens und tragischer Größe und fand diese in den dichterischen Hauptwerken der Weltliteratur. Wie wohl kein anderer Künstler des 19. Jahrhunderts schöpfte Delacroix nicht allein aus dem Denken und Empfinden seiner Nation, sondern auch aus dem Born der Poesie Englands, Italiens und namentlich Deutschlands entscheidende Anregungen zu einem freien, nicht bloß illustrativen Gestalten, aus dessen Fülle das Unisono eines tief schmerzlichen Weltgefühls auftönt. Er war mit den Dichtungen Dantes und Shakespeares ebenso innig vertraut wie mit denen Byrons und Goethes; er sah in Michelangelo, Veronese und Rubens die Ahnen seiner Kunst, und an der Musik Beethovens, Mozarts und Schuberts entzündete sich seine Phantasie zu einem kulturgesättigten romantischen Schaffen.

Julius Meier-Graefe, der literarische Vorkämpfer des deutschen und noch mehr des französischen Impressionismus, hat vor nun 40 Jahren erstmals Delacroix in einer deutschsprachigen Monographie eindringlich gewürdigt, sein Wesen, aus seinem Schaffen gedeutet, und den wertvollen literarischen Nachlaß des Künstlers — sein „Journal“ und seine kunstkritischen Aufsätze — veröffentlicht. — In dem nun vorliegenden Buch des Verlages Bruckmann dagegen hat Ulrich Christoffel den interessanten und sinnvollen Versuch unternommen, das Schaffe Delacroix’ aus den von ihm aus der Weltliteratur empfangenen Anregungen sowie der ins Freie und Große drängenden schöpferischen Vitalität seines Temperaments zu erklären. Es war wohl ein Wagnis, diesen Versuch zu einer Monographie zu erweitern, das heißt das riesige Lebenswerk Delacroix’ nach thematischen Gesichtspunkten zu zergliedern. Die Bildbeschreibungen ermüden bisweilen; die Zusammenfassung von Werken, die einander zwar thematisch nahe, zeitlich und stilistisch aber fern stehen, machen dem. lesenden Laien die Entwicklung dieses Genies etwas unklar. Die wegweisenden Einflüsse, die der junge Delacroix von seinem früh verstorbenen Künstlerfreund Theodore Gėri- cault (1791 bis 1824) empfing, werden nicht genauer umschrieben. Bei strafferer Durcharbeitung des Textes hätte wohl Übereinstimmung zwischen abgebildeten und besprochenen Werken, wie zum Beispiel beim Apollo-Plafond des Louvre und bei den Löwenjagden, erzielt, und die inkonsequente Benennüng mancher Bilder (so der Dante- Barke von 1822) vermieden werden können. Höchst wertvoll aber bleibt, daß Christoffel die großen Zyklen von Delacroix’ Wand- und Deckengemälden in das Zentrum von dessen Lebenswerk rückt, in das der Impressionistenfreund Meier-Graefe die — allerdings herrlichen — Skizzen des Meister gestellt hatte. Ebenso schätzenswert ist die eingehende Würdigung, die Delacroix’ tief empfundene religiöse Bilder in dem neuen Buch gefunden haben. Wohl aber bedauern wir, daß hier die großartige Zeichenkunst des Meisters ebenso zurücktritt wie seine Leistungen als Bildnismaler. Schade, daß ferner die ausgezeichneten Farbtafeln nur Skizzen, aber keine der repräsentativen großen Kompositionen wiedergeben und daß nicht farbige Details Einblicke in die Pinseltechnik Delacroix’ gewähren, die suggestiv, ja zauberhaft die farbglühende Romantik seiner Malwerke schuf. Dennoch verdanken wir dem Buch wichtige neue Aspekte der Kunst dieses Großen, mit dem sich jeder schöpferische und jeder geschichtlich denkende Mensch immer wieder auseinandersetzen muß.

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