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Tontafeln und Papyrusrollen

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In den letzten Jahrzehnten hat die Kulturgeschichte des Nahen Ostens durch umfangreiche und umwälzende, neue archäologische Funde eine Erweiterung und Verfestigung erfahren. Doch lagen bisher keine zusammenfassenden Arbeiten darüber vor. Der italienische Forscher Sabatino M o s c a t i versucht im vorliegenden Buch, die Geschichte der altsemitischen Völker in ihren Umrissen nachzuzeichnen. Er geht von der Voraussetzung aus, daß die nomadisierenden, semitischen Stämme vor der Seßhaftwerdung und vor ihrer Bekanntschaft mit dem Kamel als Reittier im wesentlichen eine einheitliche Kultur bildeten. Von den Hochkulturzentren, vor allem von Mesopotamien, liaben sich verschiedene Kulturgüter, Fertigkeiten und Kunstgegenstände über den gesamten arabischen Raum verbreitet; unterlagen aber örtlicher Umformungen und Variantenschöpfungen.

Babylon wäre undenkbar ohne die iumerischen Stadtstaaten am Persischen 3olf. Von den Sumerern weiß man weder iron woher sie in dies Gebiet eingewandert tfaren noch zu welcher Völkerfamilie sie gehören. Sie müssen um das fünfte Jahrtausend in das Zweistromland eingewandert sein. Vorher scheinen sie nicht seßhaft gewesen zu sein. An den Ufern des Euphrat und Tigris begannen sie durch ausgedehnte Bewässerungsanlagen erstmals systematische Feldwirtschaft zu betreiben. Um die Erntespeicher errichteten sie Schutzanlagen, die zu regelrechten Städten erweitert wurden. Die sumerischen Städte Ur, Uruk, Umma waren politisch voneinander unabhängig. Es lassen sich auch keinerlei kriegerische und expansive Bestrebungen erkennen.

Erst durch das Einsickern semitischer Stämme, die sich völlig in die vorgefundene Kultur eingliederten und bald zu den führenden Bevölkerungsschichten der nördlichen Stadtstaaten gehörten, kam es zu politischen Machtkämpfen. Sargon der Große, der Begründer der semitischen Dynastie von Akkad, gelangte 23 50 vor Christus an die Macht. In kurzer Zeit eroberte er die sumerischen Städte und unterwarf benachbarte Stämme, so daß bald sein Großstaat vom Persischen Golf bis ans Mittelmeer reichte. Um 1700 vor Christus gelang es Hammurabi, dem Herrscher von Babylon, die Vormachtstellung an sich zu reißen. Zwei Jahrtausende hin-

- düreH ■ beherrschte' die Dynastie flammörabi ndfe semirischen'.'Völker Kteinariant: jDann

■brachen von NorHen her indogermanische Stamme in Mesopotamien ein: Hethiter, Hurriter, Kassiten und später die Perser. Diese Völker konnten zeitweise die Führung übernehmen, vermischten sich mit der einheimischen Bevölkerung und wurden von neuen Eroberern verdrängt.

Deutlich läßt sich der Einfluß der sumerisch-semitischen Altkultur auf die benachbarten semitischen Nomaden aufzeigen. Zwar kam es in Syrien-Palästina und später in Südarabien (Saba) zu eigener Hochkulturbildung, aber der entscheidende Anstoß ging von Babylonien aus, wie auch verschiedene Kulturschöpfungeft von dort nach Osten ins Industal und auf Umwegen nach Südeuropa gelangten. Auch die Geschichte der Juden mit ihrer Sonderstellung unter den semitischen Völkern, bedingt durch ihre Religion und die daraus entsprngende Heilsgeschichte, erscheint durch Funde mythologischer Texte und religiöser Vorstellung aus der sumerisch-semitischen Frühperiode in ganz neuem Licht. Viele geschichtliche Ereignisse, die sich in Bibeltexten angedeutet finden, können heute auf Grund von archäologischen Forschungen nachgewiesen und genau bestimmt werden. Sehr aufschlußreich ist auch die Entwicklung des Frühchristentums im arabischen Raum bis zur Entstehung des Islams. Bis auf die christliche Kirche in Äthiopien konnte der Islam alle semitischen Völker — manchmal allerdings nur mit Gewalt — bekehren und hat sich noch weiter auf andere Völkerschaften ausgedehnt. Somit geht die Geschichte und Kultur der Semiten in die Geschichte und Kultur des Islams über — ein Gegenstück zur christlich-abendländischen Tradition.

Durch sehr viele Textstellen von babylonischen Tontafeln und Papyrusrollen sowie reiches Bildmaterial von Kunstgegenständen aus den verschiedenen Epochen gibt dieser Band von Moscati einen wissenschaftlich fundierten ersten Einblick in den Reichtum der Frühgeschichte der Hochkulturbildung. Man vermißt nur ein genaueres Eingehen auf die Zusammenhänge und Beziehungen der semitischen Kultur zu dem benachbarten Ägypten und zu den mit der Geschichte Vorderasiens eng verbundenen indogermanischen Stämmen. Archäologie, Ethnologie und Orientalistik sind, trotz der vielen neuen Funde, noch lange nicht am Ende ihrer Forschungen angelangt. Sabatino Moscati hat aus dem bis heute zur Verfügung stehenden Material die Geschichte der semitischen Völker entworfen, vieles daran bedarf noch der Erweiterung und der tieferen Erforschung.

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