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Was für ein Volk!

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Das vorliegende Werk ist der erste Band, der in der Reihe „Universum der Kunst“ erschienen ist. Dieser Plan einer Weltkunstgeschichte ist wahrhaft monumental. In ungefähr 40 Bänden wird eine Weltgeschichte der bildenden Kunst erstehen, wie sie in dieser Ausführlichkeit und Geschlossenheit bisher nicht vorhanden war. Denn das gesamte kunstgeschichtliche Material ist heute wie nie zuvor erarbeitet und gesichtet. Die modernen Druckverfahren gestatten eine Vorzüglichkeit der Abbildungen, wie sie vor einem Jahrzehnt noch nicht möglich war. Nicht zuletzt wird durch das „Universum der Kunst“ ein umfassendes Bild der modernen kunstgeschichtlichen Betrachtung gegeben werden. Die Tatsache, daß mehr als ein Drittel der Bände außereuropäischen Kulturen gewidmet sein wird, verbürgt wirkliche Universalität.

Für die Darstellung der sumerischen Kunst hätten die Herausgeber keinen besseren Autor finden können als Andre Parrot. Als Chefkonservator des Louvre, langjähriger Leiter der französischen Ausgrabungen in Mesopotamien und Verfasser vieler wissenschaftlicher Werke über die Archäologie des Vorderen Orients verfügt Parrot über eine einzigartige Quellennähe und Anschaulichkeit.

Die Geschichte der Grabungen liest sich wie eine Saga. Es war der französische Konsul in Mosul, Botta, der im Jahre 1842 die Grabschaufel über den Ruinen des alten Ninive ansetzte. Er leitete das Zeitalter der Diplomaten als Amateurarchäologen ein. Seit den achtziger Jahren begannen die Freilegungen großen Stils durch Ingenieure und Architekten. Das eigentliche „Goldene Zeitalter“ der Archäologie begann aber erst nach 1918, als der Vordere Orient in europäische Mandate aufgeteilt wurde. Die Facharchäologen übernahmen die Ausgrabungen. Nach 1945 gab es manche Schwierigkeiten (Ausfuhrverbote für Funde, nur wenige Grabungsgenehmigungen), doch infolge der Ergiebigkeit des Bodens gelangen weitere Funde.

Der erste große Abschnitt des Werkes behandelt die Kulturen der Vorgeschichte, das heißt der Zeit zwischen Beginn der Seßhaftigkeit und der Erfindung der Schrift (5000 bis 2800 v. Chr.), die größtenteils nicht den Sumerern, sondern einem ethnisch unbekannten protosumeri-schen Element zuzuschreiben sind. Die Vorsumer«s- besaßen bereits eine bedeutende Kultur, die hier dargestellt wird. Der, zweite Abschnitt beginnt mit der Erfindung der Schrift um 3000. Die Schrift leitet über zu einem neuen, entscheidenden Abschnitt der Kulturentwicklung; durch sie beginnt die Geschichte. Dieser Abschnitt umfaßt das Zeitalter der Stadtstaaten unter eigenen Dynastien (2800 bis 2470). Die außergewöhnlichen Reproduktionen von Kunstwerken aus den dieser Zeit angehö-rigen „Königsgräbern“ von Ur machen auf den Betrachter einen tiefen Eindruck. Freilich kann selbst diese Kulturblüte nicht über die Zeit der halben Anarchie hinwegtäuschen, in der sich das Land durch die rivalisierenden Stadtstaaten befand. Das semitische Obermesopotamien unter dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Sargon I. machte der Herrschaft der sumerischen Stadtstaaten in Untermesopotamien ein Ende. Sargon I. ist der Schöpfer des ersten Großreiches der Geschichte, des vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer reichenden akkadischen Weltreiches. Der blühenden Kunst dieser Zeit ist daher mit Recht ein eigener Abschnitt gewidmet.

Das folgende Kapitel beschreibt die Kunst und Kultur der folgenden neu-sumerischen Reaktion und der semitischen Fremdvölker. Dem berühmtesten Vertreter der letzteren, Hammurabi, dem Einiger Mesopotamiens (1792 bis 1750), gilt der folgende Teil des Werkes, und mit Recht, denn in dieser Zeit allgemeinen Wohlstandes blühten Kunst und Kultur. Das berühmteste Denkmal dieser Zeit, der den sieben Weltwundern vergleichbare Palast von Mari, wird eingehend behandelt.

Besonders ausführlich verweilt Parrot bei Hammurabi, der überragenden Persönlichkeit dieser Zeit. Die Dioritstelle mit seinen Gesetzen, durch die er unsterblich geworden ist, ist im Werk vorzüglich abgebildet. Sein Reich hatte keinen langen Bestand, bald nach Hammura-bis Tod wurde es von sich ablösenden iranischen Fremdvölkern erobert. Die hier wiedergegebenen Funde beweisen aber, daß diese mehr als Kopierung und Schematisierung, wie früher oft behauptet, hervorgebracht haben. Aber zu Ende des 13. Jahrhunderts war Mesopotamien am Ende einer Entwicklung angelangt; was folgte, war Abstieg.

Soweit in groben Umrissen der Inhalt. Was für ein Volk! Vor hundert Jahren kannte die Wissenschaft nicht mehr als ihren Namen. Heute ersteht vor unseren Augen ein Großreich mit einer Kultur, die der ägyptischen um nichts nachsteht. Der Wert der Darstellung Parrots liegt nicht nur in der für ihn selbstverständlichen wissenschaftlichen Akribie, sondern auch in der Kraft der künstlerischen Darstellung. Die Abbildungen zeigen eine Güte und Anschaulichkeit, wie sie bisher nicht erreicht wurden. Die Betrachtung der Abbildungen auf Metallfolie ist ein ästhetischer Genuß, und wer etwa die assyrischen Altertümer im Louvre gesehen hat, muß zugeben, daß die Abbildungen den Originalen um nichts nachstehen. Doch nimmt der Text keine untergeordnete Stellung ein, vielmehr wurde durch die Konfrontation von Bild und Text eine Synthese erreicht, die bewundernswert ist. Der anregende, anschauliche Stil verdient ebenfalls Hervorhebung. Mit diesem Werk, dessen Preis im Hinblick auf die Ausstattung als durchaus niedrig bezeichnet werden muß, ist der Grundstein zu einem wahrhaften Thesaurus der Weltkunstgeschichte gelegt.

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