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Der Hundesdwß

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.Nein, es darf nicht geschehen, es darf nicht, darf nicht geschehen!“ wimmerte Miß Ethel Barrymoore und drückte unter Tränen ihren schwarzen Zwergschnauzer so fest an sich, daß Niki aufjaulte. Ethel deutete dies als Zeichen für Nikis seelischen Mitschmerz und fühlte sich beinahe ein wenig getröstet durch die Teilnahme des treuen Tiers an ihrem Leid.

.Lionel mit Deborah — nein, ich ertrag es nichtl“ schluchzte Ethel, schon fast der letzten Auflösung nahe. „Nein, ieh ertrag es nicht. Eher...“ Und sie fuhr, von einem klaren Entschluß blitzartig durchzuckt, aus dem Fauteuil auf, nahm Niki von der Brust, drückte ihn recht unsanft in den Polstersessel und eilte aus dem Salon, hinüber in das väterliche Jagdzimmer.

Dort riß sie die doppelläufige Flinte von der Wand, wühlte in dem untersten Schubfach des dunkelhölzigen Schrankes mit den Jagdutensilien nach Patronen und gab, als sie welche gefunden, deren eine in jedes Lager, Sie stürzte mit „Treff-Königin“, so nannte Vater seine Lieblingsflinte, auf ihr Zimmer, warf sich flüchtig das Nerzcape um und verließ das Haus. Niki, der sich vom Schrecken seiner ungewohnt groben Versetzung einigermaßen erholt hatte, folgte verschüchtert und ängstlich staunend seiner Herrin durch offene Türen.

Er sprang eben aus dem Portal, hielt auf der obersten Treppenstufe inne und schaute suchend und schnüffelnd um 6ich, als Ethel das Auto aus der Garage auf den Vorplatz hinaussteuerte. Sie erblickte den aufgeregt wedelnden Hund, überlegte einen kurzen Augenblick, kam zur Ansicht, der Hund könne ihr bei dem geplanten Vorhaben nur lästig fallen und wollte ohne ihn wegfahren. Lionel wohnte im jenseitigen Villenviertel der Stadt.

Da flog Niki in langgestreckten Sprüngen die Treppe hinunter und raste unter Heulen und Bellen dem Auto nach. Was tun? Den Hund ins Haus zurückjagen und einsperren? Ethel fühlte nicht die nötige Geduld dazu. Lionel in Deborahs Armen, jetzt vielleicht, vielleicht in diesem Augenblick! Das Bild ließ heiß ihr Blut in den Adern kreisen und benahm ihr jeden kühlen Gedanken. Nur vorwärts, vorwärts zum Hause „Eden“!, schlug tobend ihr verwundetes Herz.

Aber noch gefährlicher würde es sein, den Hund so hinter dem Auto her rasen und kläffen zu lassen! Am Parkausgang stoppte Ethel den Wagen und warf die rechte vordere Tür auf, um dem Hund

Gelegenheit zum Einsteigen zu geben. Erst zögerte Niki ein kleine Weile, zeigte sein weißes Gebiß und schnob durch die Nase. Dann nahm er, auf Ethels Anruf, einen Satz und sprang über den vorderen Sitz in den Fond des Wagens.

Ein Schuß knallte, ein Schrei zerriß die Luft, Glas splitterte. Ethel Barrymoore, im Genick getroffen, lag stöhnend über dem Steuerrad.

Niki, der den Schuß ausgelöst hatte, als er so unglücklich auf die Flinte im Fond des Wagens sprang, daß sich seine Pfote im Schutzring unterm Abzugshahn verklemmte, blickte verschreckt und fassungslos um sich. Unter einiger Gewaltanwendung befreite er seine Pfote aus dem Eisen. Er hüpfte vom hintern Sitz nach vorn, drängte sich seiner Herrin auf den Schoß und leckte ihr zwischen den Speichen des Steuerrades, Mitleid bezeugend und Vergebung erbettelnd, das schmerzverzerrte Gesicht.

Als sich Ethel nicht mehr regte und auch keinen Laut mehr von sich gab, kletterte Niki aus dem Wagen und lief dem Hause zu. Auf halbem Weg eilte ihm der Gärtner entgegen, der, hinter der Villa mit Gartenarbeit beschäftigt, den Schuß vernommen hatte und nachsehen kam, was geschehen sei. Niki gab ihm durch sein Gebaren zu verstehen, daß er zum Auto mitkommen müsse, wenn er erfahren wolle, was sich ereignet habe.

Der Gärtner fand Ethel ohnmächtig im Wagen. Blut rieselte ihr vom Hals, sammelte sich an den Haarspitzen des Pelzes in kleinen Tropfen, fiel auf das cremefarbene Lederpolster und rann in dünnen roten Bächlein nieder auf die marmorierte Gummimatte.

In der Klinik wurde Ethel operiert. Man erhielt sie mit Glück am Leben, sie blieb aber an Armen und Beinen so gründlich gelähmt, daß sie sich nicht einmal mit Hilfe des Fahrstuhles selbst bewegen kann. Der Diener Henry fährt sie jeden Tag durch den Park, und von Zeit zu Zeit wünscht sie ins Auto gesetzt und von Henry durch die belebten Straßen der Stadt gefahren zu werden.

Lionel und Deborah haben selbstverständlich nie geheiratet. Niki hat vier rabenschwarze Junge geworfen. Und der alte Gärtner Stitches pflegt hin und wieder zu sagen, Tiere seien oft willige Werkzeuge der Vorsehung; ihn habe als Knabe einmal eine Biene gestochen, als er sich an Mutters Honigtopf vergreifen wollte, von andern Fällen zu schweigen, na ja —.

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