6732281-1966_03_11.jpg
Digital In Arbeit

Der Schöpfer des neuen Rußland

Werbung
Werbung
Werbung

DAS LEBEN LENINS. Von Louis Fischer. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1965 Geb.. 848 Seiten. 235 S.

Der russische Kommunismus hat seine spezifische Ausprägung nicht allein durch seine Anpassung an die nationalen und vor allem an die sozialökonomischen Bedingungen Rußlands erfahren, sondern auch, wenn nicht weitgehend, durch die unrussisch konsequente Dynamik Lenins. Die Praxeologie Lenins überdeckt die unter evolutionären (daher bedingt demokratischen) Aspekten formulierten Interpretationen und Prognosen von Karl Marx. Für Lenin sind Theorie und Praxis integriert. Im Interesse einer Realisierung der theoretischen Konzepte ändert Lenin ständig seine Taktik und reduziert die kühnen Utopien seiner Mitrevolutionäre auf praktikable Ideen und demgemäße Aktionen. Um das Phänomen des Kommunismus russischer Prägung und im Ansatz auch die revolutionäre Praxis Mao Tse-tungs zu verstehen, muß jedenfalls Bedacht auf die Lehren, aber auch das diese Lehren weitgehend bestimmende Leben Lenins genommen werden, dessen letzte Lebensperiode nach 1917 die Phasen der Aktivierung des Nachkriegskommunismus reflektiert.

Der amerikanische Journalisl Louis Fischer, der 1921 von der „New York Post” nach Europa und Asien delegiert worden war, konnte im Zusammenhang mit einem fast 20jährigen Aufenthalt außerordentliche Einblicke in die Politik Europas und Asiens gewinnen und gilt, selbst perfekt russisch sprechend, als ein profunder Kenner des kommunistischen Rußlands, seiner Geschichte und ganz besonders seiner marxistischen Literatur.

Das vorliegende Buch ist ein Monument der politischen Geschichtsschreibung, erhielt den Amerikanischen Nationalpreis 1965 für Geschichte und kann für sich in Anspruch nehmen, die bisher beste und, trotz aller Einzelheiten, das Wesen eines einmaligen Lebens darstellende Biographie Lenins zu sein.

In dem reichbebilderten Werk schildert der Autor vorerst di Jugend Lenins (Uljanows), in derer Ablauf an einem Schnittpunkt bestimmter sozialer Bedingungen und besonderer Ereignisse (Hinrichtung des Bruders) die Radikalität des Leninschen Sozialismus begründel wird. Verbannung, Gefängnis und Emigration, die Distanzierung vom Alltag des russischen Binnensozialismus, machen es Lenin möglich, ir seiner gewissen Unbefangenheil seine Thesen zu formulieren. Auch seine organisatorischen Konzepte Als Mann der Organisation wußte er um die Rationalität des revolutionären Einsatzes, um das Gewichl von Eliten. Der Primitivismus de sich den politischen Freitod gebenden Zarismus programmierte zuden die Leninschen Organisationskon- zepte. Das Buch schildert nicht nui (bei umfangreichen Beleghinweiseh den Aufwuchs Lenins, sondern bietet gleichzeitig Einblicke in jener Teil der russischen Sozialgeschichte die für das Verständnis des revolutionären Prozesses wesentlich ist Ebenso kommt neben den biographischen Ausführungen die Theorie de: Marxismus, als deren profunde) Kenner sich der Autor erweist, nichi zu kurz. Wenn eingangs von einen Monumentalwerk gesprochen wurde trifft das nicht allein auf das außerordentliche Materialvolumen zu sondern mehr noch auf die Akribie der Darstellung, die allseitiger Bezüge, welche das Buch auch zi einer Geschichte Sowjetrußlands bis zum Ableben Lenins machen, untei anderen durch das Heranholer neuester und vielfach erstmals benützter Literatur, vor allem vor Lenins schriftlichem Nachlaß. Di permanenten Verweise auf die marxistischen Theorien sind von eminentem Wert, weil sie uns erst das Handeln Lenins, das oft inkonsequent zu sein scheint, verständlich machen. Ein Standardwerk der politischen Zeitgeschichte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung