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Jüdische Schicksale

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DIE HEIMFAHRT DES RABBI CH ANIN A. Erzählungen und Geschichten aut de Jiddischen. Hermusgegeben von Rudolf Hirsch. 48 Selten. — JAN LOBEL AUS WARSCHAU. Eriihlung von Luise Rinser. 78 gelten. Beide Union-Verlag. Berlin.

Der Ost-Berliner Union-Verlag hat eine Anthologie jiddischer Erzählungen und Geschichten publiziert, von der wir uns eine westliche Lizenzausgabe wünschten. (Einige nicht ganz einleuchtende Gedankengänge im an sich instruktiven Nachwort des Herausgebers, Rudolf Hirsch, ließen sich dabei sicher revidieren.)

Hier wird sie noch einmal lebendig, jene ostjüdische Welt, die der letzten großen Katastrophe, die über das Volk Israels hereinbrach, zum Opfer gefallen ist. Sie ist uns fremd diese Welt, in der sich jüdisches Volkstum mit seinen uralten Traditionen so rein kristallisierte, aber in ihrer Fremdheit doch von geradezu magischer Anziehungskraft. Da steht hinter dem Alltagselend der armen jüdischen Handwerker und Händler in den kleinen Dörfern und Städtchen des Ostens, die als „Luftmenschen”, das heißt als Habenichtse, ihr Dasein fristeten, ein reiches Innenleben. Das Studium der heiligen Bücher, der Thora und des Talmud, bedeutete ihnen Ausweg und Zuflucht aus der irdischen Bedrängnis. Der Chassidismus eine

Gegenbewegung gegen die Dogmatik der „Gesetzestreuen” — bringt neue Elemente in das religiöse Leben, findet Wege der Gottesanbetung im Rausch, im Traum und im Wunder; er will, wie Martin Buber es einmal ausdrückt, den Menschen „ausrüsten, aus der Kraft des Geheimnisses zu leben, ihm den Weg weisen, auf dem ihm Gott begegnet…”

Auch die besonders schöne Titelerzählung des Bandes, das deutsch- jüdische Volksmärchen aus dem Mittelalter, „Die Heimfahrt des Rabbi Chanina”, darf hier nicht unerwähnt bleiben; eine ebenso poetische wie mystische Begebenheit, die hinreißend erzählt wird.

Lebendige, bildhafte und herzwarme Dokumente des ostjüdischen Geistes sind in dieser Anthologie versammelt, die auch großen historischen Wert haben als Zeugnisse einer unwiederbringlich vergangenen Welt, die die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus vernichtete.

Eine Episode dieses Dramas behandelt auch Luise Rinser in einer ihrer schönsten und dichtesten Erzählungen, „Jan Lobei aus Warschau”, die der Union-Verlag jetzt den Lesern des anderen Deutschland in einer Lizenzausgabe zugänglich gemacht hat. Sie berichtet die Geschichte eines polnischen Juden, der auf einem KZ-Transport entkommt, von einer deutschen Familie aufgenommen wird, alle, die in sein Schicksal verwickelt werden, in Bann zieht, aber auch Konflikte zwischen seinen Rettern heraufbeschwört. Jan hofft, durch eine neue Flucht die Dinge wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und ertrinkt bei dem Versuch, sich illegal nach Palästina durchzuschlagen. Die kleine Erzählung ist ein Meisterwerk, in dem es Luise Rinser gelingt, an dem besonderen Schicksal ihres Heiden die Tragödie der Verfolgten und Heimatlosen schlechthin gültig därzustellen.

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