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Bernhard Aichner erzählt, wie Kunst berührt.

Es ist eine Obsession, die in Bernhard Aichners "Alles Blau" die Erzählung in Bewegung setzt. Sie erfasst einen jungen Mann namens Jo in einer Bonner Ausstellung vor einem Yves Klein-Bild aus den 50er Jahren: "Er stand vor einem blauen Monochrom. Er bewegte sich nicht mehr, stand einfach nur da, das Bild hatte ihn umfangen, er spürte es rund um sich herum, es war überall, es leuchtete vor ihm und hörte nicht auf. Es hing da und strahlte, in ihn hinein. Da war eine große Kraft, die von dem Bild ausging, es war magisch irgendwie, es riss ein Loch in die weiße Wand vor ihm und griff nach ihm, zerrte an ihm, riss ihn mit, mitten ins Blau hinein, gab ihm die Hand, führte ihn langsam in die tiefste aller Farben, tief hinein in einen Raum, den er vorher noch nie betreten hatte."

Jo kündigt und verschreibt sein Leben Yves Kleins Blau. Wie der französische Maler fünf Jahrzehnte vor ihm experimentiert er mit Pigmenten, Farbmischungen und Verdünnungsmitteln, um genau jenes "tiefste und reinste Blau" zu halten und auf Leinwand zu bannen wie Yves Klein: "Jo wollte es auch."

Besessen

Eine solche Besessenheit als Thema wäre fesselnd genug. Im Roman des jungen Tiroler Schriftstellers und Fotografen Bernhard Aichner, Jahrgang 1972, ist sie starker Auftakt und durchgängiges Motiv, doch das Eigentliche seiner Geschichte entwickelt der Autor rundherum. Es ist ein ganz und gar verblüffendes Buch, das Altes und Neues in faszinierender Mühelosigkeit verbindet. Da ist Yves Kleins Blau und eines seiner einfärbig flächigen Bilder, das wie in einem altmodischen Roman romantischer Tradition als eine Art Staffelholz von Hand zu Hand wandert und dem Autor die Möglichkeit gibt, erzählerisch von Station zu Station und zwischen Figuren hin und her zu wechseln.

Hier und Jetzt

Aichners Charaktere hingegen haben nichts Altmodisches an sich, sie sind Kinder des Heute, des Hier und Jetzt, Spiegel einer eklektischen, komplex gewordenen globalen Kultur-und Soziallandschaft: Jo, der zum Maler des Blau mutiert. Sein Lebensgefährte Musca, ein eleganter, älterer Literaturkritiker und Bildungsbürger mit einer in Weiß gehaltenen Wohnung im 32. Stockwerk eines Frankfurter Hochhauses. Ben, ein von seiner Frau verlassener Müllfahrer mit einer seltsamen Leidenschaft für Fundstücke aus dem Abfall und kunsthistorische Bücher. Ming, eine vom besseren Leben im Westen durchdrungene junge chinesische Immigrantin. Eine 64-jährige Italienerin, die Yves Klein als junge Frau einmal auf die Wange geküsst hat und nun im Wohnmobil von Klein-Schau zu Klein-Schau reist. Der tablettensüchtige Taxifahrer Ben, den brutale Drogenmissbrauchsalpträume quälen. Ein in Deutschland gestrandeter, inkontinenter dänischer Vermieter von Leiharbeitern und die Malerin/Kellnerin Anna, die vor einem bösartig gewordenen Lebensgefährten geflohen ist.

So skurril dieses Personal klingt, Aichner fügt daraus eine in ihrer Außergewöhnlichkeit absolut glaubwürdige, zeitgemäße Geschichte. Er erzählt in einem unprätentiösen, spannungsgeladenen Stakkato kurzer Sätze, in einer Verdichtung von Wahrnehmungen und Gefühlen. Seine Sprache wirkt auf den ersten Blick schlicht, erst auf den zweiten merkt man, wie komplex das alles gemacht ist, wie durchkomponiert und klug gebaut. Wie Haltegriffe funktionieren da zum Beispiel von Kapitel zu Kapitel immer wieder auftauchenden Sätze, die den Ablauf der Handlung chronologisch ordnen: "Das war vor sechs Jahren" heißt es da oder - später dann - "Das war vor siebenundfünfzig Minuten". Was erst plump scheint, entfaltet schnell spürbare Wirkung: Wie ein in die Länge gezogener Countdown, den man über der Intensität der Erzählung und der Buntheit der Figuren immer wieder vergisst, erinnern diese Sätze von Anfang an daran, dass die Romanbewegung wie in einem Krimi auf einen dramatischen Endpunkt zuläuft.

Wie Aichner aus seinen so grundverschiedenen Zutaten einen Roman macht, der ans Herz greift, das ist bemerkenswert empathische, große Kunst.

Er erzählt von Sehnsüchten, Leidenschaften und durch die Kunst ausgelösten Gefühlen, die Menschen ganz unerwartet ergreifen und ihnen dann, wenn es passiert, wie Handschuhe passen: "Das war sein Bild. Er verstand es völlig. Es kam tief innen in ihm an." Für die einen ist es Yves Kleins Blau, für die anderen etwas ganz anderes.

Nur Blau

Roman von Bernhard Aichner

Skarabaeus Verlag, Innsbruck 2006

216 Seiten, geb., e 19,90

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