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Die Einladung von Yves Klein im Museum für Angewandte Kunst.

Im Februar 1961 unternimmt ein etwas sonderlicher Pilger eine Wallfahrt zur Heiligen Rita ins umbrische Cascia. Er überreicht den Schwestern im dortigen Kloster ein Exvoto, das nicht ganz den üblichen Ausformungen der Dank-und Bittgaben entspricht: Ein Kästchen aus Plexiglas, der Länge nach in drei Segmente aufgefächert, wobei der obere Teil seinerseits nochmals in drei Unterteilungen ausgeführt ist. Diese an ein Triptychon eines Flügelaltars erinnernden Behälter sind mit rosaroten und ultramarinblauen Pigmenten sowie mit reinem Gold gefüllt. Der mittlere Teil des Exvoto, der Prädella eines Altars entsprechend, ist mit einem beschriebenen Blatt Papier versehen, auf dem ein Gebet an die Heilige Rita verfasst wurde. Der untere Teil ist wiederum mit ultramarinblauem Pigment gefüllt, wobei drei kleine Goldbarren aus der farblichen Tiefe herausragen. Der Name des seltsamen Pilgers war Yves Klein - eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts.

'... dass meine Werke leben"

In einer Zeit, in der es nicht nur in künstlerischen Kreisen eine Obszönität darstellte, von Religion in diesem pointierten Sinn wie etwa einer Wallfahrt zu sprechen, verbindet Klein eine Zusammenstellung seiner künstlerischen Tätigkeit - als solche ist das Exvoto konzipiert - mit einer in klassisch katholischer Diktion ausgeführten Auflistung von Danksagung für die bisher gewährte Gnade und von Bitten für weitere wichtige Schritte seiner künstlerischen Entwicklung. 'Heilige Rita von Cascia, ich bitte Dich, bei Gott dem Allmächtigen ein gutes Wort für mich einzulegen, dass er mir im Namen des Sohnes Jesus Christus, im Namen des Heiligen Geistes und im Namen der Heiligen Jungfrau Maria die Gnade gewähre, dass meine Werke leben und dass sie immer schöner werden und auch die Gnade, dass ich fortwährend und regelmäßig neue Dinge in der Kunst entdecke, die jedes Mal schöner sind, auch wenn ich - o weh! - nicht immer ein würdiges Werkzeug zur Herstellung und Schaffung der Großen Schönheit bin. Dass alles, was aus mir heraustritt, schön sei. So sei es."

'Farbe ist alles"

Und Klein fügt noch seine Initialen 'Y.K." an, der Vertrag ist damit besiegelt. Es folgt eine Aufzählung aller seiner bisherigen künstlerischen Aktivitäten von den monochromen Bildern bis zu den Feuerfontänen, von den Farbabdrücken menschlicher Körper bis zur Luftarchitektur. All dies stellt er unter den Schutz der Heiligen Rita.

Klein begann seine künstlerische Laufbahn mit zwei Künstlerbüchern, die je zehn monochrome Tafeln aus unterschiedlich eingefärbtem Industriepapier enthielten. Diese Tafeln wandern in der Folge aus den Büchern heraus auf die Wände von Galerien, bekommen aber Struktur und Körperhaftigkeit dazu. 'Farbe ist alles, von allem durchdrungen und besitzt eine undefinierbare Sensibilität, formlos und grenzenlos. Sie ist Raummaterie, abstrakt und real zugleich", schreibt Klein dazu.

Er beansprucht mit seinen Monochromen aber einen neuen Anfang, weigert sich als Nachfolger von Kasimir Malewitsch gesehen zu werden, der bereits 1913 mit seinem 'Schwarzen Quadrat" ein ähnlich monochromes Bild geschaffen hatte. Auch wenn Klein von Ideen der Rosenkreuzer sehr angetan war und man daher annehmen könnte, seine Bildverweigerung komme ebenso wie bei vielen anderen Künstlern, die von der Theosophie beeinflusst waren, aus einer tiefsitzenden Abneigung dieser esoterischen Lehren gegenüber Bildern, so korrigiert Klein diese Sichtweise praktisch und theoretisch. Auch wenn ihn seine Modelle auslachen und für verrückt halten, er malt seine monochromen Bilder vor Modellen, denn diese garantieren im Atelier ein sinnliches Klima - im Gegensatz zu einem rein geistigen Ausfluss wie in der Theosophie; ein Klima, das die Stabilisierung des bildnerischen Materials gewährleistet. Klein stellt dieses sinnliche Klima in scharfen Kontrast zu Sexualität und Erotik und begründet diesen 'Schwerpunkt der fleischlichen Werte im Sinne des wahren christlichen Glaubens, der da besagt: ,Ich glaube an die Fleischwerdung des Wortes, ich glaube an die Auferstehung des Leibs'." Seine Monochrome werden zu Inkarnationen.

Sein Blau lässt er sich patentieren, und das Problem der Distanz zwischen Modell und Bild löst er schließlich durch seine Anthropometrien. Modelle tauchten wie Pinsel in Farbe ein und rollten sich nach den Anweisungen von Klein über die Leinwände.

'Meine Pinsel waren lebendig"

Die Distanz zwischen Modell und Bild schrumpfte auf Null, dafür achtete Klein peinlich darauf, dass die Modelle unberührt blieben. 'Ich habe sie niemals berührt, daher hatten sie auch Vertrauen und liebten es mit mir zusammenzuarbeiten. Damit war auch die Lösung für das Problem der Distanz in der Malerei gefunden: meine Pinsel waren lebendig und ferngelenkt", schreibt Klein in seinem Text 'Komm mit mir in die Leere".

'Manche zittern oder weinen"

Und in der Leere, die allerdings nicht Nichts ist, gipfelte wohl auch sein gesamtes künstlerisches Schaffen. Am Abend seines 30. Geburtstages eröffnete Klein die Ausstellung 'Le Vide - Die Leere", die legendäre Berühmtheit erlangte. Klein hatte dazu die Galerieräume in reinem Weiß gekalkt und mit einer leeren Vitrine bestückt. Das Fenster war mit blauer Farbe undurchsichtig gemacht. Der reguläre Zugang zur Galerie war geschlossen, die Besucher mussten durch einen Seiteneingang, der mit einem blauen Baldachin drapiert war, und durch einen schweren blauen Samtvorhang, als letztes Hindernis in den Ausstellungsraum, in dem 'Nichts" zu sehen war.

Wie in einem Initiationsritus mussten die Besucher mehrere Räume und Schwellen durchqueren, bevor sie buchstäblich auf sich selbst zurückgeworfen wurden. Manche wurden aggressiv davon, einen jungen Mann, der die leeren Wände beschreiben wollte, ließ Klein von seinen Wachen rausschmeißen.

Bei vielen anderen löste die Ausstellung aber eine ganz andere Wirkung aus, wie Klein in seinem Tagebuch vermerkt. 'Einige Leute waren nicht in der Lage, den Raum zu betreten, als habe eine unsichtbare Wand sie daran gehindert. Einmal schrie einer der Besucher mich an: ,Ich komme wieder, wenn die Leere voll ist ...' Ich antwortete ihm: ,Wenn sie voll ist, werden Sie nicht mehr hineinkommen können.' Oft bleiben viele Leute stundenlang in der Galerie, ohne ein Wort zu sagen, und manche zittern oder fangen an zu weinen." Klein stellte die Grenzen des Gefühls für den eigenen Körper aus und versetzte die Besucher in einen Schwebezustand.

'... die im Licht badet"

Um diesen Schwebezustand ging es Klein auch in seiner Luftarchitektur. Gleichzeitig eine utopische Vision von Bauwerken und ein soziales Projekt, eine immaterielle Architektur aus ephemeren Baustoffen wie Luft, Feuer und Wasser. Die Stadt der Zukunft sollte von einem immateriellen Luftdach überspannt sein, das für eine permanente Zirkulation der Luft als reiner Energie sorgen, Schutz vor Sonne und Regen bieten und direkten Zugang zum Himmel und dem grenzenlosen Raum des Universums ermöglichen sollte. Alle Serviceeinrichtungen sollten unterirdisch sein, darüber tummelten sich freie Menschen in einer Stadt, aus der 'das Geheimnisprinzip verschwunden ist und die im Licht badet", wie Klein euphorisch notiert.

'So sei es"

Ein letzter Höhepunkt eines disparaten Künstlers, wie der Kunsthistoriker Oskar Bätschmann zusammenfasst: 'Yves Klein, der Wallfahrer zur heiligen Rita in Cascia, ein Mitglied des Rosenkreuzordens, ein Judoka des vierten Dan und Judolehrer der spanischen Nationalmannschaft, belebte das verblassende Bild des Künstlers mit den widersprüchlichen Zügen des publikumssüchtigen Mystikers, des charismatischen Clowns, des unschuldigen Kollaborateurs und absurden Weltrevolutionärs, des scheinbar trügerischen Spekulanten und des unermüdlichen Kunstschnorrers." 'So sei es", fügte Klein in seinem Exvoto an.

YVES KLEIN, AIR ARCHITECTURE

Visionärer Lebensraum der Zukunft

MAK-Galerie, Stubenring 5, 1010 Wien

Bis 24. 9. Di 10-24, Mi-So 10-18 Uhr

Katalog: Peter Noever, François Perrin (Hg.), Yves Klein, Air Architecture

Ostfildern-Ruit 2004

144 Seiten, e 24,80

Vortrag François Perrin, Air Architecture 30. Mai, 19 Uhr

Kurzfilme von Yves Klein, 4. Juni 15 Uhr

beides im MAK-Vortragssaal

Weiskirchnerstraße 3, 1010 Wien

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