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DIE WELT DES ALEXANDER RUTSCH

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Im vergangenen Winter konnte man vom Autobus, auf den Champs-Elysees fahrend, ein Schauspiel betrachten, das an Eindrücke während des Krieges erinnerte. Riesige Men-schenschlangen belagerten das Grand Palais, warteten stundenlang geduldig, als würden sie irgendwann besonders belohnt werden. Die an Sensationen reiche Weltstadt mußte schon etwas Besonderes bieten, um die blasierten Pariser zu bewegen, der Hast des Tages zu entfliehen, den immer schärfer werdenden Lebenskampf zu vergessen. Die gewaltige Ausstellung der Werke Picassos hatte mehr als 800.000 Besucher angezogen, ein einmaliger Rekord der von der französischen Presse entsprechend kommentiert und gewürdigt wurde. Wie kam es, daß in den Wochen des Wahlkampfes so viel Interesse für einen Maler 'bestand? Wie leben derzeit die Maler in einer Stadt, die gerade auf diesem Sektor der Kunst die Weltbesten angezogen hat? Existieren die verrauchten Künstlerlokale am Montparnasse und Montmartre? Finden wir noch die Schatten eines Toulouse Lautrec oder Modigliani zwischen den enormen Wohnblocks, die an Stelle verträumter Gassen und romantischer Ecken den kalten Triumph einer seelenlosen Stadtplanung verkünden?

Besuchen wir also einen Landsmann, der als brillanter Vertreter der gegenwärtigen österreichischen Malerei in Paris Erfolg und Wohlhabenheit errang und von Publikum und Kritik als ein zweiter Münch gefeiert wird. Es ist der Porträtist Jacqueline Kennedys, der Königin Fabiola und — warum auch nicht — Sorayas und zahlreicher Damen der internationalen Gesellschaft, wie der Schwester des jordanischen Königs Hussein; er stellt in Gemälden seinen gewaltigen Bruder Picasso vor, den bekannten französischen Schauspieler Jean Louis Barrault und den ebenso bedeutenden Kultusminister der Fünften Republik Andre Malraux.

Der Künstler empfängt in einer Art Privatgalerie, das Werk eines Mäzens, der seit dem Jahr 1952 die Werke Rutschs systematisch aufgekauft hat, um sie in einer harmonischen Aufstellung zur Geltung zu bringen. In diesem wuchtigen Patrizierhaus in der Nähe der Champs-Elysees rankt eine Welt aus Träumen, Farben und Skulpturen. Vielleicht erzeugt die indirekte Beleuchtung besondere Linien, die ins Unendliche führen. Illusionen entstehen, und es wird eine Synthese der Zukunft geschaffen, in der gespenstische Wesen im Weltenraum ihre Bedeutung gewinnen.

Alexander Rutsch besitzt ein zeitloses Gesicht. Wir kennen uns seit Jahrzehnten. Aber um seine Augen liegt die gleiche lächelnde Ironie und eine leichte Melancholie: „Wie eine Primadonna verschweige ich mein Alter, es ist auch unerheblich. Ich wurde bereits als kleines Rind Maler. Damals empfing ich die ersten, aber auch die nachhaltigsten Impulse. Das Licht drang in das Zimmer. Es wanderte entlang des Bettes. Wölbungen entstanden und Formen. Eine Art Mondlandschaft, die in ständiger Veränderung begriffen war. Manche Formen gefielen mir so sehr, daß ich sie mit Nägeln an den Wänden auskratzte. So entdeckte ich die Spirale, erkannte die Wunder der Fläche und der Form. Damals schuf ich die schönsten Bilder meines Lebens. Später erhielt ich Aquarellfarben, oder ich erzeugte mit Zigarettenasche graue Flächen. Auch Tee mit Milch gemischt ergab ein wundervolles Malmittel.“

Der Vater, ein Österreicher, war Pianist und Dirigent. Die Mutter, eine Russin, Sängerin. Alexander Rutsch wurde in einem Flugzeug geboren. Er begann als kleiner Sänger im Badener Stadttheater. Im Jahre 1950 veranstaltete das Kulturamt der Stadt Wien die erste bedeutende Ausstellung seiner Werke. Er zeigte Porträts von Czokor, Bdeibtreu, Aslan. 1952 erhielt der junge Maler ein Stipendium des französischen Kulturinstituts in Wien und übersiedelte nach Paris, Ohne die engen Bindungen zu Baden aufzugeben, wo noch immer seine Familie wohnt.

Aber in Paris schuf er sich sein eigenes Reich. Während der Nacht haust er in einer Schmiede. Aus Elektroeisen entstehen seltsame Figuren und Gruppen: der Bünde, der von einem Sehenden über die Straße geführt wird, ein Ritter, der gegen Angriffe den Schild erhebt, aber das Schwert unberührt läßt, eine Herde von Rhinozerossen und die niedliche Weltraummaus, die jenseits der Grenzen des Planeten die Raumfahrer empfängt und sie durch den Kosmos geleitet, selbst neugierig, wohin und wie die Reise geht. Und da schreitet eine Gruppe von Menschen vertrauensvoll einem bestimmten Ziel entgegen. Alexander Rutsch doziert: „Die Menschheit ist eine große Familie. Aber nur der innere Glaube zählt. In jedem religiösen Raum empfangen wird das Gefühl, daß die Idee Gottes, die er sich über den Menschen gebildet hat, eingehalten werden muß. Die Menschheit entwickelt sich weiter. Jeder von uns gewinnt auch am Ende seines Lebens neue Erkenntnisse und ist zu bedeutenden Aussagen fähig. Goethe hat erst im hohen Alter die endgültige Form für Faust II gefunden.“

Wann arbeiten Sie am besten? Sie kultivieren die Farbe, das Licht wird transparent. Sie lieben wohl sehr das Licht?

„Am liebsten schaffe ich in der Nacht. Die Wellen der Großstadt nehmen in der Nacht ab. Die Gedanken schweben leichter. Die Luft wird erst im Morgengrauen frischer. Ein anderes Licht, wichtiger als das der Sonne, erfüllt uns dann. Mir geht es wie El Greco, der ebenfalls das Sonnenlicht ausschaltete, und sich in einen Keller zurückzog. Das äußere Licht darf das innere nicht stören.

Rutsch flüchtet im Sommer aus Paris und zieht sich auf eine winzige Insel im Atlantik zurück, die der bretonischen Küste vorgelagert ist. Er glaubt fest, daß es sich um die letzten Überreste des sagenhaften Atlantis handelt. Auf drei Grotten - steht sein winziges Häuschen. Aus den Felsen der Insel meißelt er eigenartige Gesichter, und er bildet die geheimnisvollen Atlantiden nach, inspiriert von den Geistern der Bretagne, wo noch die Sagen der Urzeit lebendig sind. Es sind zeitlose Steinköpfe, die in die Ewigkeit blicken, und über das erregte Meer nach fernen Horizonten Ausschau halten.

Rutsch nennt seine Insel „Orplid“. Aber auch in dieser Landschaft der Zauberer und Trolle sieht er nichts Bösartiges, sondern erwartet Freundschaft und Hoffnung. Dort empfing er die Anregungen, Städte der Zukunft zu symboli-

sieren, die sich auf einem Pfeiler drehen, damit Dome und Häuser ständig Farben und Licht empfangen. Selbst der Roboter weiß, daß auf dieser Erde Bewußtsein existiert und auch diese Gestalt bewundert den gestirnten Himmel. Paul Claudel, der größte katholische Dichter Frankreichs, interpretierte wohl am besten die Ideen Rutschs als er das Porträt Barraults mit folgendem Satz versah: „Ich habe nur Durst nach dem Meer und ich habe nur Hunger nach dem Willen Gottes.“

Alexander Rutsch darf sich als erfolgreicher Maler vorstellen. Zahlreiche Ausstellungen dokumentieren seine Ausstrahlung. Ein eigener Film, der zu den besten KunstfMmen Frankreichs zählt, zeigt die Weltoffenheit des Malers, der natürlich auch die exzentrische Seite des Berufes liebt. Vor erstaunten und empörten eleganten Snobs zerstörte er einmal eigenhändig eine geflügelte Gottheit, die von Salvador Dali bestellt worden war; Dali hatte sie jedoch als sein eigenes Werk ausgegeben. Rutsch, dieser Österreicher in Paris, geriet sehr oft in den Ruf, ein Maler der Leichtigkeit zu sein, der einer mondänen Beweglichkeit Tribute zollt. Wer sich in das von ihm geschaffene Bild Picassos vertieft, empfindet jedoch eine schöpferische Gewalt, die jenseits der Oberflächlichkeit eine starke Seele widerspiegelt.

„Es macht sich, es arbeitet“, betont Rutsch immer wieder. „Wenn nur Intelligenz, Wille oder Eitelkeit am Beginn eines Werkes stehen, wird lediglich die Oberfläche erreicht. Aber als Künstler ist man in ein Universum geschleudert, das

wir entdecken müssen. So gelangen wir zu einer Vision der Welt und dadurch bestätigen wir unser Dasein.“

Zahlreiche Besucher drängen abends herein, das Haus steht Freunden und Unbekannten offen.

Alexander Rutsch lächelt. „Was wollen Sie jetzt über meine Welt schreiben? Vergessen Sie nicht, daß der Mensch, der vor Ihnen steht, eine Metamorphose erlitten hat. Jedes kritische Urteil kommt zu spät, denn der Durchbruch zu neuen Horizonten erfolgte bereits. Ich liebe die Freiheit und möchte daß Sie die eigentliche Aussage in meinen Werken entdecken.“ Der gigantische Verkehr auf den Champs-Elysees spült die letzten Worte des Malers hinweg. Aber am Horizont treffen sich die Gestalten Rutschs zu einer neuen und vielleicht endgültigen Begegnung.

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