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Neuer Sinn im alten Wort

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In der Stille einer Studierstube im Vati- kanpalast ist während der vergangenen zehn Jahre ein Werk herangereift, das sAon kurz naA seinem ErsAeinen über die Grenzen Italiens und die Küsten Europa® hinaus Interesse gefunden hat. Es handelt siA um ein italienisA-lateinisAes WörterbuA, mit dem es allerdings eine besondere Bewandtnis hat: es verzeiAnet niAt den allgemein bekannten und lexi- graphisA vielfaA erfaßten WortsAatz der Klassiker, des Vulgärlateins oder der Humanisten, sondern bietet aussAließliA neugefundene Übersetzungen modernster Ausdrücke, die in keinem der bisher existierenden WörterbüAer gefunden werden können, weil die SaAe oder der Begriff selbst erst in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Dies bezieht siA niAt bloß auf die teAnisAen Neuerungen und Erfindungen, wo es selbstverständliA ist, sondern auA auf philosophisAe, politisAe, wissensAaftliAe AusdrüAe.

Der Verfasser des neuen Lexikons ist Monsignore Antonio B a c c i, Sekretär ab epistulis Pontificis Max. ad Principes, das heißt Vorsteher jenes vatikanisAen Amtes, in dem die an die ausländisAen Staatsoberhäupter geriAteten Briefe des Vikars Christi in lateinisAer SpraAe abgefaßt werden. Monsignore Bacci, hervorragender Latinist, steht diesem Amte seit mehr als einem Jahrzehnt vor und hat siA während dieser langen Tätigkeit niAt bloß die Gewandtheit und siAere Kenntnis des Berufsübersetzers angeeignet, sondern auA die Bedürfnisse seiner „Berufskollegen“ erfaßt, jener Männer, denen zum Beispiel die Übersetzung der päpstlichen Enzykliken anvertraut ist, welAe zum Teil modernste SaA- gebiete, etwa den Film, behandeln. Daneben wickelt siA die gesamte interne Korrespondenz der KirAe in lateinisAer SpraAe ab, wobei es selbst dem SpraAkundigen niAt immer leiAt fällt, für den neuen Sinn den alten WortsAatz heranzuziehen.

Monsignore Bacci ist ein sAmaler, un- sAeinbarer Mann, der anspruAslos und bescheiden von seinem Werk plaudert. Rund 5000 neue termini mußten gefunden werden, eine gigantisAe Gedankenarbeit, da siA der Verfasser kaum auf irgendeine Vorarbeit stützen konnte, sondern die AusdrüAe selbst prägen mußte. Wie sAwierig die Arbeit ist, wird sofort klar, wenn man bedenkt, daß die WorAenntnis allein durA- aus unzureiAend wäre. UnerläßliA ist eine wirkliA universale Bildung und Spezialwissen in allen teAnisAen Zweigen und eine profunde philosophisAe SAalung. Ein kleines Beispiel: „Die soziale Funktion des Eigentums“ enthalt drei Wortelemente, von denen jedes, aus dem Zusammenhang gelöst, leiAt übersetzt werden kann. „Sozial“, „Funktion“ und „Eigentum finden siA in jedem WörterverzeiAnis. Die riA- tige Übersetzung dieses AusdruAs muß je- doA der wörtliAen Bedeutung weit aus- weiAen und ihren philosophisAen Inhalt zu erfassen suAen. Bacci setzt dafür „pro- prietatis munus in universorum utilitatem“, worin also „sozial" und “Funktion“ vollkommen fehlen, obwohl sie doA lateinische AusdrüAe sind. Der von Bacci eingesAla- gene Weg orientiert siA naA fünf Prinzipien: soweit nur irgend mögliA vor allem Verwendung des WortsAatzes der Klassiker; wo diese stumm bleiben, wendet man siA an die Humanisten, die vor einem halben Jahrtausend vor der gleiAen Notwendigkeit standen, alten Wortformen neuen Sinn zu geben. Wenn auA die Humanisten versagen, suAt man Hilfe im Griechischen, wie sAon Cicero empfohlen hatte. Wenn auA dieser Weg zu keinem Ziele führt, greift Bacci zu Umschrei- b u n g e n und in seltenen Fällen, wo UmsAreibungen zu langatmig wären und kürzere Wortformen auf der Hand liegen, zu Neubildungen. Die Be- sAeldenheit des Verfassers ließ jedoA diesen letzten Ausweg nur in ganz wenigen, dann aber glüAliA gewählten Fällen zu.

Die Methodik Baccis möge an Hand einiger weniger Beispiele deutliA gemaAt werden: „Lift“, eine durAaus moderne Ein- riAtung unter Verwendung von elektrisAer Energie zum Heben von Personen und Lasten, war dem alten Rom natürliA unbekannt. Beim Studium klassisAer Texte (Seneca, Ep. 88, Juvenal, IV, 122, Vitru- vius X, 1) stößt man jedoA auf die BezeiA- nungen „anabathrum“ und „pegma“, Ein- riAtungen, die als Aufzüge mit Handbetrieb angesehen werden können. Im Theater dienten sie dazu, die in der Rolle von Göttern auftretenden SAauspieler von oben plötzliA auf die Bühne herunterzulassen („deus ex maAina“) oder heraufzuheben. Sklaven drehten die Handkurbeln mit den Seilen, welAe die Aufzüge bewegten. „Lift“ kann daher mit anabathrum electricum oder pegma scansorium übersetzt werden.

„HubsA rauber“ wird mit dem grieAi- sAen Wort Helicopterum oder mit der UmsAreibung Velivolum ad perpendiculum exsurgens übersetzt. Velivolum ist eine glüAliAe Neubildung für Flugzeug, das die Begriffe des Fliegens (volare) und der

Gestalt (Segel-velum für TragfläAe) enthält. „Klavier“ bot besondere SAwierig- keiten. Die Humanisten kannten das Clavi- cymbalum, aber Clavicembalo ist ein Begriff für siA. Weder das Cymbalum, noch das altrömisAe plectrum, mit dem die Saiteninstrumente angesAlagen wurden, werden für siA dem Terminus „Klavier“ gereAt, zusammen aber umsAreiben sie gut das technische Prinzip des Klaviers: plectro- cymbalum. „Zentralheizung“ läßt an das hypocaustum der römisAen Villen denken, das jedoA eine unterirdisAe Heißluftheizanlage war. Bacci schlägt drei Übersetzungen vor: eine UmsAreibung, calefacientis aquae ductus, eine NeusAöpfung caleductus, -us m., und das grieAisAe Wort thermo- siphon, onis m.

In dem Vokabularium von Bacci finden siA Wörter, wie Atombombe, LuftsAutz, Diplomatengepäck, ÜbermensA, SAwarz- markt, FallsAirmspringer, Faschist, Kommunist, Agit-Prop, Sowjetisierung, Fußball, Existentialismus, Linotype usw. Jeder Aus- druA hat eine kurze BesAreibung in lateinisAer SpraAe neben siA, die Quellenangabe für die vorgesAlagenen Übersetzungen, Warnungen, wie der Ausdruck nicht übersetzt werden darf. SAon dadurch :st es zu einem stattliAen Werk angewachsen, doA arbeitet der Verfasser bereits an einem neuen, noA umfassenderen Lexikon. Das BuA ist in der polyglotten Typographie des Vatikans gedruckt worden, die an Zuverlässigkeit kaum ihresgleiAen in der Welt hat. In der SAweiz und in den Vereinigten Staaten werden deutsche und englisAe Ausgaben herauskommen.

Das DurAblättern des Bandes bietet auA dem NiAtphilologen eine kaum erwartete Anregung. Die Anmerkungen ermögliAen immer wieder Ausflüge in die Kultur- gesAiAte der Antike. Daß Bacci auA eine humoristisAe Ader hat, beweist die liebevolle Aufmerksamkeit, die er der pasta asciutta, den italiensicben Teigwaren, in allen ihren vielfältigen ErsAeinungsformen gewidmet hat, von denen einige internationale Berühmtheit erlangten: „Maccaroni“ — pasta tubulata, „Spaghetti“ — pasta vermi- culata

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