"Stalin gestern gestorben"

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Das Tagebuch von VP-Obmann und Bundeskanzler Julius Raab aus den Jahren 1953/54 wurde erstmals vollständig veröffentlicht.

In Ried im Hotel Gärner. Im Gästebuch eingetragen: Wer hat denn alles so schön erdacht, des Bürgers Fleiß, des Ortes Pracht. Wer hat den Bauern so gestaltet, der Haus und Flur so froh verwaltet. Der Herrgott schmunzelt und er lacht. Das hab ich wieder wirklich gut gemacht." So lautet eine Tagebuchnotiz von Julius Raab vom August 1953. Es ist die einzige dieser Art, die anderen Eintragungen künden weniger von heiterer Gelassenheit und tief verwurzelter Volksfrömmigkeit denn von den innen- wie außenpolitischen Sorgen des Spitzenpolitikers in turbulenten, schicksalhaften Tagen.

Publiziert - und ausführlich kommentiert - wurden diese Aufzeichnungen aus 1953/54 nun erstmals im jüngsten Band von "Demokratie und Geschichte", dem Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts der övp, das diesmal, im Gedenkjahr, als Doppelnummer für die Jahre 2003/04 erschienen ist. Deutlich wird da beim Lesen etwa die Dramatik der Regierungsbildung des Jahres 1953 nach der vp-Niederlage bei den Wahlen. Zu Raabs - letztlich an innerem wie äußerem Widerstand gescheitertem - Bemühen, den VdU in die Regierung einzubeziehen, schreiben die Autoren Helmut Wohnout und Johannes Schönner: "Zu gerne hätte er (Raab; red.) als Revanche' für die unter maßgeblicher Mitwirkung der spö erfolgte Zulassung des Nationalen Lagers als eigene Partei diese ... gegen die spö in Stellung gebracht." Diese Grundkonstellation bestimmte immerhin die innenpolitischen Auseinandersetzungen bis in die jüngste Gegenwart. Und vollends ist der Bogen zur Jetztzeit geschlagen, wenn man liest: "Es zeigte sich bei diesen Regierungsverhandlungen Raabs taktisches Geschick, Niederlagen nachträglich in Erfolge zu verwandeln."

Ein zentrale Rolle im Tagebuch nimmt natürlich die Staatsvertragsfrage ein. "Stalin gestern gestorben", notierte Raab knapp am 6. März 1953. Das Datum markiert eine Zäsur auf dem Weg zum Staatsvertrag, den Raab zäh und beharrlich beschritt. "Die Hetze der Sozi geht ziemlich weit wegen der russophilen Politik, aber ich werde sie überwinden", vermerkte der Kanzler (8. Juli 1953) im Hinblick auf die prowestliche Ausrichtung von sp-Vizekanzler Adolf Schärf. Diese Probleme hatten Raabs Erben später nicht mehr. RM

demokratie und geschichte

Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich

Jahrgang 7/8, 2003/04

Hg. von Helmut Wohnout

Böhlau Verlag, Wien 2005

281 Seiten, brosch., e 27,80

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