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Dezennium

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Anno 1961 werden es nicht nur acht lahre, seit die Kanzlerschaft Julius Raabs begann. Im kommenden Juni ist seit dem eigentlichen Beginn der Ära Raab ein ganzes rundes Jahrzehnt vergangen. Damals stand die Volkspartei nach der zwar knappen, aber doch wie ein Schock wirkenden Niederlage bei der Wahl des Bundespräsidenten vor der Schicksalsfrage, was nun nach dem deutlichen Ende der unmittelbaren Nachkriegszeit weiter geschehen solle. Ihre verantwortlichen Männer eilten von einem beratenden Konvent hinweg zum Flugplatz. Sie bestürmten den von einer Dienstreise heimkehrenden Kammerpräsidenten und Wirtschaftsbundobmann, Ing. Julius Raab, die Bürde der Spitzenfunktion eines geschäftsführenden Bundesobmanns neben dem auf die Regierungsaufgaben konzentrierten Kanzler Figl zu übernehmen. Ein neuer, zunächst ebenfalls geschäftsführender Generalsekretär, der Abgeordnete und Funktionär des ÖAAB, Dr. Alfred Maleta, sollte an seine Seite treten. Zeugen dieses Tages berichten uns, daß es einer Autofahrtstunde des Zuredens an den bedächtig schweigenden Sankt-Pöltner bedurft hatte, sein Jawort zu erreichen. Dann aber war es so weit. Schritt für Schritt ging es dem Höhepunkt zu, der genau in der Mitte des nun abgelaufenen Jahrzehnts lag. Von jenem Maitag 195 5 im Belvedere bis zur Mainacht 1956. die der von ihm geführten Partei den imposanten „Kanzlersieg“ bei den Wahlen brachte. Man könnte die folgenden fünf Jahre als die Zeit der Ebbe, der Defensive bezeichnen: Die Niederlage des von Raab gegen manches begründete Erfolgsbedenken durchgesetzten Präsidentschaftskandidaten 1957, der unbefriedigende Wahlausgang 1959, die dem Prestige der Partei nicht förderlichen Regierungs- und Koalitionskrisen 1959 und 1960, dazu der persönliche Schlag einer schweren Krankheit.

Und dennoch ist dieses Raabsche Jahrzehnt, eines der wenigen der neueren österreichischen Geschichte, das den Namen eines Mannes trägt, als ein gutes in unsere Geschichte eingegangen. Wenn uns nicht alles trügt, wird es die Rückschau sogar vergolden. Die Worte des Kanzlers in Krems, die wie ein Lauffeuer durchs ganze Land gingen und die in vornehm zurückhaltender Art den beginnenden Abschied von der höchsten Verantwortung ankündigten, atmen nichts von verbitterter Resignation. Sie sind von gekelterter Reife und Einsicht in den Gezeitenrhythmus des großen Lebens getragen. In Ruhe und nicht unter dem Druck der Straße — auch nicht des intellektuellen Boulevards oder des Extrazimmers im Politikercafe — soll sich die Ablösung vollziehen.

Es wäre nun gut, sich auf den Beginn und Ausgangspunkt des Dezenniums zu besinnen. Am Anfang stand nicht, wie man uns gern weismachen will, der ominöse „Rechtskurs“, den man schon damals vorausblickend dem Wirt-schaftsbündler und Heimwehrmann Raab andichten wollte. Am Anfang stand die Bereitschaft zu einer echt volksparteilichen Politik des Zusammenwirkens aller, stand das Konzept der Überwindung des Interessenstandpunktes, stand die durch den damaligen geschäftsführenden Generalsekretär Dr. Maleta formulierte politische Idee einer christlichen, österreichischen Partei. Von dieser und von keiner anderen Plattform aus begann Raab, begann das seinen Namen tragende Jahrzehnt.

Was immer auch heute die Volkspartei über die Nachfolge Raabs beschließen mag: Es wäre gut, wenn sie sich daran erinnerte, wie es damals war — als man zuerst das Konzept hatte und dann die Männer suchte, es in Regierung und Parlament zu verwirklichen.

Und das, was einst Julius Raab zuwege brachte: von einem klaren und bewährten Interessenvertreter zum integrierenden Mann der Volkspar'“\ zu wachsen, wird auch die Aufgabe seines Nachfolgers sein.

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