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Raab III?
Der Bundesparteiobmann der Oesterreichi- schen Volkspartei und langjährige bewährte Steuermann der österreichischen Politik geht in diesen Wochen keinen leichten Gang. Mehr als einmal muß er sich bereits selbst überwunden haben. Im Angesicht eines recht selbstbewußt und kategorisch fordernd auf tretenden Verhandlungspartners sowie einer die bisherige kritiklose Gefolgschaft versagenden Partei war gewiß die Versuchung groß, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Julius Raab zeigte in diesen Tagen ein neues Gesicht: das des willigen Dolmetschers der Meinung seiner Partei. Man kann nicht sagen, daß dieses weniger sympathisch ist als das bisherige Profil.
Nun aber ist die Stunde, in welcher der Bundesbürger sich fragt: Kommt ein Kabinett Raab III? Wenn nicht, was kann sonst kommen … Und bei solchen Betrachtungen, vor allem, wenn sie nicht in der eigenen Brust, sondern in Gesprächen und von manchen Blättern angestellt werden, schleicht ein böses Wort sich ein. Das Wort heißt: Staatskrise. Wir sollten es meiden. Genau genommen: wir sollten uns scheuen, es überhaupt auszusprechen. Nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern deswegen, weil wahrhaftig auch in dieser Stunde ernster Entscheidungen — und wir verhehlen uns ihren Ernst keineswegs — man nicht bei einem Zimmerbrand alle Löschzüge der Feuerwehr alarmieren darf.
Es ist durchaus möglich, daß wir heute an einer entscheidenden Schwelle der politischen Entwicklung in Oesterreich stehen — auch dann, wenn es Ing. Julius Raab allen Widerständen zum Trotz gelingen sollte, ein neues Kabinett zu bilden. Aber sind wir wirklich so verwöhnt, daß jede personelle und politische Krise schon unsere staatliche Existenz aufs Spiel setzt? Wir möchten dem entschieden widersprechen. Wer so denkt, spräche auch ein hartes Urteil über all die Männer, die seit vierzehn Jahren an diesem Staat gebaut haben. Sollten sie verabsäumt haben, sich davon zu überzeugen, daß ihr Werk nicht auf Sand errichtet sei, daß es nicht imstande sei, eine politische Generation zu überdauern? Wir können dies nicht glauben.
Was bringen die kommenden Tage und Wochen? Prophezeiungen gehören nicht in das Ressort des politischen Leitartiklers. Eines können wir auf jeden Fall gewiß sein: daß Ingenieur Julius Raab seine Mission bis auf die letzte Möglichkeit ausschöpfen wird. Ist dies ohne Erfolg geschehen, dann liegt es, der Verfassung gemäß, in der Hand des Bundespräsidenten, nach dem weiteren zu sehen. Den ungeschriebenen Spielregeln gemäß läge es dann an einem Vertreter der Sozialistischen Partei, sein Glück zu versuchen. In dieser Situation wäre es Aufgabe der Oesterreichischen Volkspartei, ernste Ueberlegungen anzustellen, ob sie sich dafür gerüstet hält, mit einer zweiten Mannschaft die bisher von den Sozialisten, wie sich herausgestellt hat, recht erfolgreich geübte Rolle der Opposition in der Koalition zu spielen. Wenn nicht, dann rollt der Ball wieder ihr zu, und Ing. Julius Raab oder ein anderer Mann seines Vertrauens müßte von neuem beginnen, die Brücke ans andere innenpolitische Ufer zu schlagen. Aber so weit sind wir noch nicht.
Eines steht fest: Jede andere Kombination wäre der Weg ins Abenteuer. Und ein solches darf niemand wollen.
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