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Interregnum
Bundeskanzler Julius Raab hat aus den seit Wochen sich schleppenden, unerquicklichen Verhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung persönliche Konsequenzen gezogen. Sein mit Nachdruck ausgesprochener Verzicht, ein neues Kabinett zu bilden, geht bestimmt auf einen den Bogen allzusehij anspannenden Partner am Verhandlungstisch zurück. Es kann aber auch nicht geleugnet werden, daß gewisse Reaktionen in der eigenen Partei diesen Beschluß mitbeeinflußt haben. Klar gesprochen: die Verweigerung der Gefolgschaft durch die Partei, als die Abtretung des Finanzministeriums zur Debatte stand, erhielt ebenfalls ihre Quittung.
Raab zieht sich also — fürs nächste zumindest — aus dem Pokerspiel um Ministersessel und politische Einflußsphären zurück. Dennoch bleibt er als Bundesparteiobmann der Oesterreichischen Volkspartei weiterhin politisch präsent. Nachrufe voll ehrlicher oder geheuchelter Anteilnahme sind auf jeden Fall verfrüht und werden daher besser unterlassen.
Offenkundig1 dagegen ist, daß unsere Politik in eine Art „Zwischenreich" — das lateinische Wort „Interregnum“ ist härter, aber vielleicht deutlicher — eintritt. Viele Möglichkeiten werden offen — zum Guten wie zum Schlechten. Gelingt der Oesterreichischen Volkspärtei in einer Zeit harter Anforderungen das, was bisher viel zu wenig beachtet wurde: die Ausbildung einer profilierten „zweiten Mannschaft“? In diesem Sinne stellen wir einmal offen die Frage, ob es überhaupt notwendig und gut ist, jetzt um jeden Preis einen Kandidaten für die Kanzlerschaft zu stellen? Wäre es nicht ein Gebot der Loyalität gegenüber Julius Raab, ebenso wie eine Frage der Taktik, nun dem Parteiobmann der SPOe sein Glück versuchen zu lassen? Die Teilnahme als „Juniorpartner“ an einer sozialistisch geführten Regierung bringt gewiß auch Risiken. Aber gerade eine solche Rolle wäre der Nährboden, um jene von uns schon oben erwähnte „zweite Mannschaft" wachsen zu lassen und ihr politisches Gewicht zu verleihen.
Rasch, allzurasch und unbedacht sind manche geneigt, das politische Fundament, auf dem der österreichische Staat allein wiederaufgebaut werden konnte, überhaupt in Frage zu stellen. Dafür gibt es aber, so weit wir blicken, beim gegenwärtigen Stand der politischen Dinge keine Alternative. Gewiß, die Koalition zwischen Volkspartei und Sozialisten ist keineswegs in der Verfassung verankert und es wäre auch durchaus legitim, der einen Partei die Regierung zu überantworten, die andere die Opposition ausüben zu lassen. Dazu aber wären Neuwahlen auf jeden Fall notwendig. So aber eine kleine Gruppe wie in der Ersten Republik „Zünglein an der Waage“ spielen zu lassen, sich ihre Unterstützung durch den Kräfteverhältnissen nicht entsprechende Zugeständnisse erkaufen zu müssen: „Nur der Gedanke an eine zweite Auflage flößt Widerwillen und Protest ein."
Diese scharfen Worte sind nicht von uns. Unser verewigter Herausgeber, Dr. Friedrich Funder, schrieb sie, als 1951 zum erstenmal die Rede auf die Einschaltung des national-liberalen Lagers in Regierungskombinationen, sei es von Seiten der Linken oder Rechten, kam. („Furche“, 21. April 1951.)
Sie gelten heute genauso wie damals,
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