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Auf den Daim gegangen ...

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Zeichen der Verwirrung, Zeichen der Zeit. Da erschien vor kurzem in der Reihe „Europäische Perspektiven“ ein neues Buch, in dem der auch den Lesern der „Furche“ bekannte katholische Wiener Psychologe und Schriftsteller Wilfried Daim sich an einer „Strategie des Friedens“ versucht. Politische Bücher sind in Österreich Mangelware. Aktuelle Stellungnahmen zu Problemen der internationalen Politik noch mehr. Wer will sich schon exponieren? Keiner hat Lust, sich die Finger zu verbrennen. Da außerdem der materielle Ertrag in keinem Verhältnis zu der aufgewandten geistigen Arbeit steht, wenden sich unsere Autoren lieber einem anderen, harmloseren, dafür aber lukrativeren Genre zu.

Anders Wilfried Daim. Mit dem Untertitel seines Opus, „Ein neutralistisches Konzept“, allein mußte er Blitze auf sein Haupt ziehen. Diese ließen auch nicht lange auf sich warten. Ein Angriff auf eine Salzburger Zeitung, in deren Spalten ein wirklich mehr als dubioser Artikel hineingeraten war, löste das Gewitter aus. Einer Beschlagnahme des Buches — wir können uns eigentlich vorstellen, daß dieselbe niemandem mehr ab dem Chefredakteur dieses Blattes, der als ein Streiter für die Freiheit der Presse in allen Lagern einen guten Namen hat, contre coeur ging — folgte eine Neuauflage. Wütende Polemiken wechseln seither mit Repliken von ähnlicher Lautstärke. Ein Kritiker bekannte, einige Stellen aus Daims Buch hätten ihn „zum Rasen“ gebracht. Das Eigenartige und Betrübliche: dieser Kritiker und der Autor tragen beide das Burschenband einer katholischen österreichischen Studentenverbindung.

Es ist hier nicht der Platz, Daims eigenwillige Stellungnahme zu zahlreichen aktuellen Fragen, wie jener der geographischen Lage Österreichs, der Koalition, der schleichenden Unterwanderung der österreichischen Machtsubstanz, deutscher und sowjetischer Einflüsse und anderes mehr, vor dem Leser auszubreiten. Vieles ist zum Schaden des Buches nur oberflächlich angetippt und ermangelt einer tieferen Begründung, in der auch gegen alle Fehlinterpretationen Verwahrung hätte eingelegt werden müssen. Einigen Thesen wird man ernsthaft widersprechen müssen, anderen eine Überprüfung in einer ruhigeren Atmosphäre wünschen. Auch gibt es gegen eine „Psychologisierung“ des West-Ost-Konfliktes bestimmt Einwände, und zwar gewichtige. Aber um das geht es gar nicht in ersteT Linie, eher darum, daß man hierzulande entwöhnt ist, sich mit den Gedanken eigenwilliger Geister in zivilen Formen auseinanderzusetzen. Der Ruf nach dem Büttel wird laut. Scheiterhaufen stehen gegenwärtig leider nicht zur Verfügung.

Aber vielleicht ist Daim nicht unschuldig an diesem Debakel. Er muß doch seine Landsleute kennen. Hier kommt uns eine Idee. Vielleicht wollte Daim seine Umwelt bewußt durch überspitzte Formulierungen schockieren, ja skandalisieren. Wer den Autor und seine Vorliebe für die Rolle des „Bürgerschrecks“ ein wenig kennt, wird eine solche Deutung gar nicht so abwegig finden. Da sind aber diesmal viele auf den Daim gegangen...

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