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Warum es so nicht kommen muß

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Wir diskutieren über Benzinpreiser-höhüngen und Politikerprivilegien, und da steht einer unter uns auf, Psychologe und Katholik, und sagt uns ins Gesicht: Die Katastrophe ist unabwendbar, und sie kömmt bald!

Ein Irrer? Ein Prophet? Oder zunächst einmal nur einer, der ausspricht, was wir anderen zu verdrängen suchen?

Es ist wichtig, daß Wilfried Daim seine Warnung ausspricht. Man muß sie sehr ernst nehmen. Aber man muß sie nicht als Ausfluß unabwendbarer Logik ansehen. Deshalb seien dazu ein paar alternative Gedanken geäußert - nicht als anmaßender Widerlegungsversuch, sondern als ergänzender Denkanstoß.

Es ist unbestreitbar, daß wir die erste Generation des Millionen Jahre alten Menschengeschlechtes sind, die zur Selbstauslöschung der Menschheit die Gewalt besitzt.

Aber: Die Annahme, daß der Einsatz von Atomwaffen zur Ausrottung der ganzen Menschheit führen müßte, ist sehr theoretischer Natur. 50fache Aus-rottungsfähigkeit dazu besagt noch nichts. Selbst im Fall eines unkontrollierten Globalkonfliktes würden aller Wahrscheinlichkeit nach genügend Menschen übrigbleiben, um das Abenteuer Menschheit fortzusetzen.

Ein geringer Trost, fürwahr, für jene Milliarden, die keine Chance haben. Aber um der historischen Perspektive willen muß man auch diese Möglichkeit erwähnen: Evolutionsgeschichtlich steht der Vollmensch vermutlich erst am Anfang seines Ganges durch Raum und Zeit. Man soll sich selber nicht allzu wichtig nehmen.

Anfechtbar ist aber auch die Grundthese Wilfried Daims, wonach es „besser ist, die gesamte Menschheit ist tot als kapitalistisch (kommunistisch)”.

Das System der wechselseitigen Abschreckung basiert zwar in der Tat auf der Voraussetzung, daß irgendeinmal im Zuge der Eskalation die eine Seite zur Atomwaffe greift und die andere mit der ihren zurückschlägt.

Aber dieses System des „Gleichgewichtes des Schreckens” ist heute bereits sehr verästelt und kunstvoll verzweigt, hierarchisch strukturiert, mit vielen Filtern, Notbremsen und Notaggregaten ausgestattet.

Wenn die eine Seite einen feindseligen Akt setzt, reagiert die andere nicht gleich mit Stufe 10 oder 20 der Rückschlagskala, sondern in einer niedrigeren Kategorie.

Auf einen Einmarsch in Afghanistan und Geiselnahmen in Teheran kann man eben mit Olympia-Blockaden und Handelseinschränkungen, Technolo-gie-Transferstopp, Hubschrauberaktionen und hundert anderen Maßnahmen reagieren, ehe man schießt.

Und wenn geschossen wird, dann zuerst mit Gewehren und Kanonen, viel später erst mit Atomgranaten und Raketensprengsätzen. Das beweist die Tatsache, daß es seit 1945 Dutzende Klein- und „Stellvertreterkriege”, aber keinen Atomkrieg gegeben hat.

Das ist zwar auch brutal, unmenschlich, unchristlich, grauenhaft - aber noch nicht apokalyptisch. Die Hoffnung bleibt, daß die Vernunft sich durchsetzt, ehe der Wahnwitz triumphiert.

Die These „Lieber Menschheitstod als Sowjetsieg” wäre unakzeptabel, wenn sie nicht in Wirklichkeit lautete: „Lieber Opfer, notfalls auch an Menschenleben, als freiwillige Auslieferung der gesamten Menschheit an eine unmenschliche Diktatur!”

Wer Daim kennt, ist sicher, daß er nicht allen Ernstes die ganze Welt widerstandslos Hitler und seinen Schergen überlassen hätte. Warum einem anderen Menschenrechteschlächter? „Soziale Verteidigung” hält keinen von der Sorte auf.

Das Beispiel der letzten Hitler-Stunde im Führerbunker stimmt sehr nachdenklich. Der hätte damals sicher die ganze Menschheit ohne Wimpernzuk-ken ins Verderben mitgenommen.

Umsomehr muß man eigentlich sagen, daß alle Staatsmänner, die seit 1945 über den Einsatz der Atombombe verfügen können, mit dieser unsagbar großen Verantwortung eigentlich sehr beherrscht umgegangen sind - im Westen wie im Osten.

Freilich: Mit jedem Staat mehr, der Zugang zum apokalyptischen Knopfdruck erlangt, erhöht sich die Gefahr.

Die Situation ist ernst genug. Das Risiko wächst täglich. Wilfried Daim ist zumindest darin hundertprozentig beizupflichten: daß man darüber nachdenken, reden, es laut hinausschreien muß.

Aber aufgeben muß man die Hoffnung nicht, daß uns die Selbstvernichtung erspart bleiben kann - als Ergebnis einer Mischung von Eigeninteresse, Vernunft, Moral, vor allem sehr viel harter, täglicher Kleinarbeit. Vielleicht auch Gnade.

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