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Der Hungerstreik war notwendig

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Vom28. Mai bis zum 3. Juni protestierten Spitzenvertreter des Katholischen Familienverbandes Österreichs, angeführt von Präsident Leopold Kendöl, vordem Bundeskanzleramt auf dem Wiener Ballhausplatz mit einem Hungerstreik gegen die von der Regierung ausgearbeitete Reform der Familienbeihilfe: Mit der Einführung einer bescheidenen Altersstaffel wird die Mehrkinderstaffel abgeschafft. Warder Hungerstreik erfolgreich? Wenn er eine Haltungsänderung hervorgerufen hätte: ja. Aber das wird die Zukunft weisen.

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Vom28. Mai bis zum 3. Juni protestierten Spitzenvertreter des Katholischen Familienverbandes Österreichs, angeführt von Präsident Leopold Kendöl, vordem Bundeskanzleramt auf dem Wiener Ballhausplatz mit einem Hungerstreik gegen die von der Regierung ausgearbeitete Reform der Familienbeihilfe: Mit der Einführung einer bescheidenen Altersstaffel wird die Mehrkinderstaffel abgeschafft. Warder Hungerstreik erfolgreich? Wenn er eine Haltungsänderung hervorgerufen hätte: ja. Aber das wird die Zukunft weisen.

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Der Hungerstreik war notwendig geworden, da alle anderen Versuche (Gespräche mit Regierungsmitgliedern, Gespräche mit den Abgeordneten der drei im Nationalrat vertretenen Parteien, Gespräche im Familienpolitischen Beirat, Gespräche mit Interes-sensvertretungen) keinerlei Ergebnisse zeigten. Auch die Versuche über Meinungsbildner auf der bedrohlich werdenden Situation Tür die Mehrkindfamilie aufmerksam zu machen, erwiesen sich als ergebnislos.

Der Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs (KFÖ) entschied sich daher an jenem Tag, an dem das Präsidium des Nationalrates über den Termin der Behandlung der Familienlastenausgleichs-Novelle im Plenum des Nationalrates entschied, in einen unbefristeten Hungerstreik zu treten. Diese Entscheidung beruhte auf

Beschlüssen des Präsidiums des Katholischen Familienverbandes Österreichs.

Um vor Gerüchten, daß dies kein Hungerstreik sei, sondern die Teilnehmer ohnehin zu Hause essen würden, ein wenig sicherer zu sein, wurde beschlossen, daß die Hungerstreikenden Tag und Nacht am Ballhausplatz bleiben würden.

Für die Hungerstreikenden selbst bildeten diese Tage eine sehr große physische und auch psychische Belastung. Sie wurde aber dadurch erleichtert, daß durch die Berichterstattung in den Medien viele Leute auf dieses Problem aufmerksam wurden und ihre Unterstützung bekundeten. Das Problem: die Situation der kinderreichen Familien, wobei im allgemeinen Sprachgebrauch damit Familien mit drei und vier Kindern gemeint sind, die 16 Prozent der österreichischen Familien darstellen; fast die Hälfte, 47 Prozent, aller österreichischen Kinder leben in solchen Familien.

Diese Familien stellen in Relation zu den Wahlberechtigten tatsächlich eine Minderheit dar, und die Mißachtung ihrer Anliegen wäre aus diesem Aspekt her leicht zu erklären.

Nachdem am 29. Mai noch das Ersuchen des Familien Verbandes um ein Gespräch mit dem Bundeskanzler Bruno Kreisky büromäßig abgelehnt wurde, erhielten wir am 30. S. die Nachricht, daß der Bundeskanzler selbstverständlieh gerne bereit sei, eine Delegation des Familienverbandes am 2. Juni abends zu empfangen.

Am 2. Juni fand dann im Bundeskanzleramt ein mehrstündiges Gespräch zwischen dem Bundeskanzler, Frau Staatssekretär Karl und dem Präsidium des Katholischen Familienverbandes Österreichs statt. Bei diesem Gespräch sah sich der Bundeskanzler außerstande, im gegenwärtigen Zeitpunkt mehr als die im folgenden gemeinsamen Kommunique festgehaltenen Zugeständnisse zu machen:

1. Die Familienbeihilfen für Kinder über 10 Jahre sollen bis längstens 1. Jänner 1982, wenn möglich in Teilbeträgen auch früher auf 1200 Schilling erhöht werden.

2. Der Katholische Familienverband Österreichs wird von Staatssekretär Beatrix Eypeltauer eingeladen, an der Erarbeitung eines Konzeptes Für Wohnraumbeschaffung für junge und Mehrkinderfamilien direkte Gespräche zu führen.

3. Staatssekretärin Elfriede Karl wird für Gespräche über Probleme, die in besonderer Weise die Mehrkinderfamilien betreffen, zur Verfügung stehen.

Bei diesem Gespräch wies der Bundeskanzler ausdrücklich darauf hin,

„Die am 3. Juni vom Nationalrat beschlossene Vorlage ist unsozial und ungerecht” daß der weitere Ausbau der Altersstaffelung von 1050 auf 1200 Schilling für jedes Kind über 10 Jahren einen Kompromißvorschlag an den Katholischen Familienverband Österreichs darstelle. Zu der vom KFÖ auch angesprochenen Frage der Familienbesteuerung wies der Bundeskanzler auf die Ressortzuständigkeit des Finanzministers hin. Generell wurde vom Bundeskanzler aber auch weiter zugesagt, die im gemeinsamen Kommunique vereinbarten Gespräche so rasch als möglich aufzunehmen.

Präsident Kendöl hielt namens des Katholischen Familienverbandes Österreichs fest, daß das Bemühen um den Abbau der wirtschaftlichen Diskriminierung der Mehrkinderfamilien voll aufrecht bleiben wird. Weiters, daß die volle Uberzeugung besteht: die am 3. Juni vom Nationalrat beschlossene Regierungsvorlagezum Familienlastenausgleichsgesetz ist unsozial und ungerecht.

In einem Brief wurden daher die Nationalräte noch Dienstag über das Ergebnis des Gespräches und über die grundsätzliche Einstellung des Familienverbandes informiert und an sie appelliert, dieses Gesetz abzulehnen bzw. zugunsten der Mehrkinderfamilie abzuändern.

Am Ende des Gespräches mit dem Bundeskanzler gab es für den KFÖ zwei Möglichkeiten: Den Hungerstreik abzubrechen und mit der Regierung auf totalen Konfrontationskurs zu gehen, oder mit einem Minimum an Ergebnissen (Altersstaffel ab 1. Jänner 1982 zusätzlich 150 Schilling, möglicherweise in Teilbeträge früher) und einer gewissen Chance, in weiteren Gesprächen eine Besserstellung der Mehrkinderfamilie zu erreichen, sich vorläufig zufriedenzugeben.

In einem Gespräch am 3. Juni informierte der Familienverband auch Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger Uber die Hintergründe, Gründe und Ziele dieses Hungerstreiks und ersuchten ihn, im Rahmen seiner Möglichkeiten weiterhin ein Anwalt der Familien zu sein.

Inwieweit die Ergebnisse der Gespräche, insoferne sie als Gesprächszusagen für den Bereich Wohnen und die Probleme der Mehrkinderfamilien vorliegen, auch konkretisiert werden können, wird an allen liegen. Was der KFÖ dazu beitragen kann, wird geschehen.

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