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Die Rechnung ist aufgegangen

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Nun liegt sie also komplett vor, Alexander Solschenizyns Dokumentation über den Archipel Gulag, das Strafsystem der Sowjetunion. Zweifellos eine imposante Bereicherung jedes Bücherschrankes, diese fast 1900 Seiten in drei Bänden. Wie kommt es, daß der dritte Band so ohne Aufsehen erscheinen konnte; daß er nie in die Hitlisten der Büchhändler gelangte, nachdem die beiden ersten Bände beispiellose Bestseller waren?

Die Antwort ist nicht im Buch selbst zu finden. Sie liegt bei Solschenizyn, der öffentlichen Meinung des Westens und im geschickten Schachzug der sowjetischen Machthaber. Solschenizyn ist als Märtyrerfigur längst uninteressant geworden, erscheint als unbequemer Querulant und Störenfried der internationalen Versöhungsszene. Solschenizyns Wahrheiten - auch wenn sie manchmal nur Halbwahrheiten sind - sind unangenehm geworden. Man will sie nicht mehr lesen.

Der geringe Erfolg von Archipel Gulag III beweist, daß die sowjetische Rechnung’-aufgegangen ist, als man Solschenizyn ins Exil schickte. Man hat richtig kalkuliert, daß sich das In teresse des Westens schnell wieder von einem Mann abwenden werde, der nicht mehr vom KGB bedroht ist.

Was ist über das Buch selbst zu sagen? Es unterscheidet sich kaum von den beiden ersten Bänden. Die verwirrende Fülle von Schrecken läßt das Mitgefühl beim Leser abstumpfen. Er registriert die Totenziffern als Statistik. Historischen Wert gewinnt das Buch vor allem dann, wenn Solschenizyn von bisher unbekannten Aufständen in den Lagern und außerhalb berichtet.

Er hat den Archipel Gulag vor mehr als zehn Jahren geschrieben. Seine Bestandsaufnahme schließt im großen und ganzen mit ‘Chruschtschows Machtübernahme ab, nur ein mageres Kapitel reicht darüber hinaus. So bleibt die Frage offen, wie es heute aussieht in den sowjetischen Straflagern. Gerade die Antwort auf diese Frage aber wäre entscheidend in den Monaten zwischen Helsinki und Belgrad.

DER ARCHIPEL GULAG. Von Alexander Solschenizyn. Band III, Scherz-Verlag, 590 Seiten, öS 183.50.

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