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Extreme berühren sich

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Die Aussage des französischen Schriftstellers Louis Sebastian Mercier, „Les extremes se touchent", zu gut Deutsch „Die Extreme berühren sich", die ihrer Substanz nach auf Aristoteles zurückgeht, hat zunächst einen sinnlich-anschaulichen Anwendungsbereich und besagt dort, daß die Mitte den Enden entgegengesetzter ist als jene einander, weil sie mit keinem der beiden Enden zusammentrifft, diese aber häufig miteinander. Auch in der Psychologie der menschlichen Beziehungen spielt die Erfahrung, daß es vielfach Gegensätze sind, die einander anzie-

hen, eine große Bolle. Doch auch in der Politik fehlt es nicht an gegenwärtigen Beispielen für die Berührung und das Zusammenwirken von Extremen, ob man nun an den gescheiterten Moskauer Putsch, an dem Rechts- und Linksextreme mitwirkten, denkt oder an Südafrika, wo es eine unheilige Allianz von schwarzen und weißen rassistischen Torpedierern der Versöhnungspolitik gibt.

Auch in Österreich ist eine inhaltliche Komplizität zwischen rechtem und linkem Rand feststellbar, so in der gemeinsamen Frontstellung gegen die katholische Kirche.

Das prominenteste historische Beispiel für Verbindungslinien zwischen Todfeinden, die einander erbittert bekämpften, aber auch aufschaukelten und wechselseitig förderten, ist und bleibt das von Nationalsozialisten und Kommunisten, von Hitler und Stalin, die sogar einen kurzlebigen Pakt schlössen.

Die Affinität zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus, die von der Totalitarismustheorie systematisch untersucht und nachgewiesen wurde, steht im Grunde genommen auch nicht im Widerspruch zu dem scheinbar entgegengesetzten Sprichwort „Gleich und gleich ge-

sellt sich gern". Denn die Besessenheit von der eigenen Idee vereint die Totalitären aller Schattierungen, was sie trennt ist lediglich der jeweilige Inhalt, den der totalitäre Wahn annimmt.

Im Sinne von Aristoteles ist es deshalb besser, auch politisch in der goldenen Mitte zu verbleiben, die nicht mit dem Mittelmaß und der Linie des geringsten Widerstandes zu verwechseln ist, sondern, richtig verstanden, eine schöpferische Synthese von Gegensätzen und die Vermeidung von Extremen darstellt, welche die Menschen stets in die Irre geführt haben.

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