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Freimutige Selbstkritik
New York, Ende Dezember
Im New-Yorker National Theatre fand die Aufführung von „I n h e r i t t h e wind“ von Jerome Lawrence und Robert E. Lee, mit Paul Muni in der Hauptrolle, tatt.
Die besten Stücke schreibt die Geschichte. Es ist ein Verdienst von Autoren, Schauspielern und Direktion, dem Publikum der Vereinigten Staaten ein komisches, kennzeichnendes und wichtiges Kapitel seiner Kulturgeschichte eindringlich vor Augen zu führen.. Der berühmte Evolutionsprozeß von Dayton wird .auf der Bühne lebendig, in dem der Versuch des amerikanischen Staates Tennessee, die Wissenschaft zu verbieten, lächerlich wurde. Nicht bloß amerikanische Probleme und Gestalten wurden beleuchtet: die Unzulänglichkeit des Geschworenensystems, das geschaffen wurde, um einen Schutz gegen oben zu bilden, aber gegen den Druck von unten selbst schutzlos ist; die Hysterie eines kleinen Ortes, der die Rechtsfindung zur Farce macht (Europäer denken an den Hilsner-Prozeß); der Einfluß von Politik aufs Recht; der Held, der sein Heldentum nicht versteht (wie Alfred Dreyfus); der berühmteste Anwalt des Landes, der immer auf der Seite des Schwächeren steht und ihn, nicht zum Sieger, aber zum Stärkeren macht; der Anwalt-Politiker, dessen tönende Hohlheiten die Menge berauschen und das Recht fälschen. Das alles in einem packenden, nach dem Leben gut geschriebenen Stück auf die Bühne zu bringen, ist ein Verdienst nicht nur um die Kunst, sondern auch um die Kultur eines Landes.
Neben der Meisterschaft eines Paul Muni, der eben von einer schweren Augenoperation aufgestanden ist, durch die er nichts eingebüßt hat, muß selbst gute Schauspielkunst etwas verblassen. Daß dies nur hie und da und nur bei wenigen Mitspielern fühlbar wird, ist ein starkes Lob für das Ensemble.
Auch das Publikum verdient Lob. Nur große Völker können ihren Fehlern auf der Bühne mit Verständnis und Beifall begegnen. Dieses ist nicht das erste Stück, an dein die Amerikaner beweisen, daß sie diese Fähigkeit mit den Engländern teilen.
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