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Lehusucht nach gefozgen hlid

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Tief in uns sitzt eine Sehnsucht nach Geborgenheit, die wir nie endgültig zu stillen vermögen. Wir suchen Umarmungen bei geliebten Menschen - als Kind bei den Eltern, als Erwachsene bei Freunden und Geliebten. Wir bauen uns Höhlen, die uns schützen und bergen sollen - Häuser und Wohnungen, mit angenehmer Atmosphäre, mit weichen Sitz- und Liegeplätzen, mit feinen Stoffen und gedämpftem Licht. Wir wünschen uns Beheimatung an schönen Orten - in einer uns zusagenden Landschaft, in wohlwollender Umgebung und bei lieben Menschen. Doch seit der Vertreibung aus dem allerersten Paradies unserer Lebensgeschichte, aus dem Leib der Mutter, bleiben wir irgendwie heimatlos. Die Geborgenheiten bleiben kurz, oder halb, oder selten. Wir sind Fremdlinge in unserer Welt, Gast auf Erden. „Heim kommt man nie. Doch wo befreundete Wege zusammenlaufen, sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus.“ (H. Hesse.)

Feinfühlige und nachdenkliche Menschen spüren diese Ausgesetztheit und Verletzlichkeit bei sich und bei anderen. Und sie lernen mit dieser beständigen Verwundbarkeit jedes Menschen umzugehen. Sie pflegen eine behutsame Bereitschaft, zu helfen, zuzuhören, Anteil zu nehmen - zu trösten. Diese zarte Anteilnahme, weil wir alle ja immerfort verletzlich sind, ist die tiefste Bedeutung von „Zärtlichkeit“. Deshalb gelangt zur „Kunst der Zärtlichkeit“ nur, wer seine eigene Verwundbarkeit zugibt und die des anderen annimmt. Diese Zärtlichkeit meint also eine umfassende Fähigkeit - nicht nur die der leibhaften Berührung, der „Zärtlichkeiten“ (in der Mehrzahl). Zärtlichkeit ist eine besondere Weise der Liebesfähigkeit, letztlich des Trostes. Nur wer in dieser feinfühligen Weise zärtlich sein kann, kann trösten. Die erobernde, habenwollende, besitzergreifende Zärtlichkeit ist hingegen eine Karikatur der echten. Sie will nicht lieben, sondern besitzen und beherrschen.

Die Christen meinen, daß die Verletzlichkeit des Menschen kein Konstruktionsfehler, sondern die Bedingung der Liebesfähigkeit ist. Und unsere Sehnsucht nach Geborgenheit und Beheimatung weist nach ihrer Meinung auf eine allerletzte Geborgenheit hin: „Herr, du hast uns auf dich hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir.“ (Augustinus.)

Peter Paul Kaspar ist Religionsprofessor und Schriftsteller

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