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OHNE GRUND WIRKEN BURSCHEN KOMPETENTER

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Der tägliche Kleinkrieg auftrumpfender Buben gegen „zickige" Mädchen, ein männlicher Schüler unter Hunderten werdender Kindergärtnerinnen, das Alibi-Mädchen in einer HTL-Klasse -lange Jahre hindurch war die Koedukation unbestritten. Aber Untersuchungen zeigen, daß in gemischten Klassen die Klischees der Geschlechterrollen fixierter sind, Mädchen weniger Technik-Interesse entwickeln -und die Lehrerinnen dabei unbewußt mitspielen. Redaktionelle Gestaltung: Leonore Rambosek

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Der tägliche Kleinkrieg auftrumpfender Buben gegen „zickige" Mädchen, ein männlicher Schüler unter Hunderten werdender Kindergärtnerinnen, das Alibi-Mädchen in einer HTL-Klasse -lange Jahre hindurch war die Koedukation unbestritten. Aber Untersuchungen zeigen, daß in gemischten Klassen die Klischees der Geschlechterrollen fixierter sind, Mädchen weniger Technik-Interesse entwickeln -und die Lehrerinnen dabei unbewußt mitspielen. Redaktionelle Gestaltung: Leonore Rambosek

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FURCHE: Was hat die Koedukation für die Mädchen, für die Frauen gebracht?

DORIS RANFTL-GUGGENBER-GER: Die Koedukation, die gemeinsame Erziehung von Buben und Mädchen, ist seit 1975 im Paragraph 4 der fünften Schulorganisationsno-velle verankert und an öffentlichen Schulen eine Selbstverständlichkeit. Dieser Grundsatz hat dazu geführt, daß die öffentlichen Schulen tatsächlich für beide Geschlechter geöffnet wurden. Das bedeutet, daß bisher traditionell nur von Mädchen oder nur von Burschen besuchte Schulen auch für das andere Geschlecht offen sind und das hat sich auch in den Bezeichnungen niedergeschlagen: Beispielsweise bei den Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe, früher Frauenberufe, oder den Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik, früher für Kindergärtnerinnen. Von dieser Öffnung für beide Geschlechter wird aber zum Teil nur sehr zaghaft Gebrauch gemacht. Etwa ein Prozent Burschen gibt es an den früher nur von Mädchen frequentierten Lehranstalten. In den Berufsbildenden Höheren Schulen sind je nach Berufsausrichtung nur einzelne andersgeschlechtliche Schüler in reinen Burschen- oder Mädchenklassen.

FURCHE: Heißt das, daß auch hier schon die typischen Frauen- oder Männerberufe durchschlagen?

RANFTL-GUGGENBERGER: Sicher spielt es für das Verhalten der Klasse eine Rolle, wenn auch nur ein Bursche in einer reinen Mädchenklasse sitzt, oder ein Mädchen beispielsweise in einer HTL-Klasse. Da die Burschen in solchen Klassen verwöhnt werden, ist es für sie leichter als für die Mädchen. Für Mädchen in den HTL ist es wichtig, daß sie nicht isoliert sind, daß sie gute Kontakte zu den Lehrerinnen an der Schule haben, da achten auch die Schulleiter darauf.

FURCHE: Gibt es Untersuchungen des U nterrichtsministeriums über die Wirksamkeit der Koedukation?

RANFTL-GUGGENBERGER: Die Koedukation hat sich in Österreich still und leise durchgesetzt. Hellhörig wurden wir in den achtziger Jahren nach Untersuchungen aus der Bundesrepublik und den USA. Unser Arbeitsschwerpunkt „Mädchen und Technik", der die Ursachen für die geringe Zahl von Mädchen an technischen Schulen, in den technischen Studien und Berufen aufarbeitet, wurde um die Fragestellung der Koedukation erweitert.

So wurden Maturantinnen und Maturanten zum Fach Mathematik befragt. Dabei beurteilten die Mädchen die Burschen als in Mathematik überlegen, auch dann, wenn sie selbst bessere Noten in Mathematik hatten. Was die mathematischen, technischen Fähigkeiten betrifft, haben die Burschen ein stärkeres Selbstbewußtsein. Bei der Untersuchung der Formen des Mathematikunterrichts hat eine Studie an oberösterreichischen Schulen ergeben, daß der übliche Frontalunterricht und die offen gestellten Fragen eindeutig die Burschen bevorzugen. Allein dadurch entsteht der Ein druck, die Burschen wären inhaltlich kompetenter. Die Mädchen werden dabei nicht gefördert, sie bleiben eher abwartend und still.

FURCHE: Bedeutet das, daß die U nterrichtsformen der mathematisch -technischen Fächer den Mädchen weniger liegen ? Und daß Gegenstände, in denen - wie etwa in Literatur oder Geschichte - gemeinsam etwas erarbeitet wird, den Mädchen besser entsprechen?

RANFTL-GUGGENBERGER: Auch der Mathematikunterricht könnte teilweise anders gestaltet sein, dann würde er den Mädchen mehr entsprechen. Wir versuchen Schlußfolgerungen daraus auch in die Lehrerfortbildung einzubeziehen. Wichtig ist dabei, daß Lehrkräfte sich selbst beobachten, ihre Verhaltensweisen erkennen lernen. Nur so sind Veränderungen möglich. Ausländische Studien zeigen ja auch, daß Burschen durch ihr Verhalten im Unterricht viel mehr Aufmerksamkeit fordern als Mädchen, das fällt den Lehrkräften aber gar nicht mehr auf.

FURCHE: Ist diese Lehrerfortbildung verpflichtend?

RANFTL-GUGGENBERGER: Nein, aber vielleicht 50 Prozent der Lehrer machen davon Gebrauch.

FURCHE: Sind den Lehrern und Lehrerinnen die Probleme in der Koedukation bewußt?

RANFTL-GUGGENBERGER: Das ist individuell sehr verschieden; es gibt Ablehnung, Gleichgültigkeit und Offenheit. Das hängt aber nicht von den Generationen ab.

FURCHE:Die Untersuchungendes Ministeriums gingen in erster Linie von den wenigen Mädchen in technischen Berufen aus?

RANFTL-GUGGENBERGER: Natürlich wäre es auch interessant, der deutlich geringeren Zahl von Burschen mit Sprachbegabung und der entsprechenden Berufswahl nachzugehen. Derzeit läuft eine Studie, die untersucht, woher Technik-Studentinnen kommen: Von welchem Schultypus, wie die Klassenzusammensetzung war, welche Erfahrungen sie mit dem Lehrkörper hatten.

Analoge Studien aus Deutschland haben ergeben, daß Technik-Studentinnen überwiegend aus reinen Mädchenschulen kommen. Das würde bedeuten, daß die Neigung für nichttraditionelle Mädchenberufe sich in solchen Schulen besser entwickelt. In den AHS-Oberstufen zeigt sich bei den Wahlfächern, daß die Neigung zu den traditionellen Mädchen- oder Burschen-Fächern in koedukativen Schulen mehr ausgeprägt ist.

FURCHE: Dann würden herkömmliche Barrieren also eher mit Mitschülern des gleichen Geschlechts abgebaut? Das stand wohl nicht am Beginn der Koedukation!

RANFTL-GUGGENBERGER: Da ging man von der Annahme aus, Mädchen und Burschen würden einander jeweils in Richtung des anderen Geschlechts beeinflussen. Schlußfolgerung kann freilich nicht sein, die Koedukation abzuschaffen, aber es ist wichtig, den tatsächlichen Verlauf dieses Prozesses zu registrieren. Im Unterricht und in der Lehrerfortbildung muß dies angesprochen werden.

FURCHE: Welche Rolle spielt das Elternhaus für die Technik-Abstinenz der Mädchen?

RANFTL-GUGGENBERGER: Auf eine Kritik an einer deutschen Untersuchung, daß nur Mädchen aus einer bestimmten sozialen Schicht aus reinen Mädchenschulen kommen, hatteeine Untersuchungsbereinigung etwa dasselbe Ergebnis: Mädchenschulen fördern nichttypische Begabungen und Neigungen der Mädchen mehr als koedukative Schulen.

FURCHE: Familiäre und gesellschaftliche Geschlechtsrollenstereo-tvpe spielen dabei wohl auch mit?

RANFTL-GUGGENBERGER. Wir haben auch schon Fragen nach dem Elternhaus in unsere Studien einbezogen, nach der technischen Vorbildung der Mütter und Väter. Auch die Familiensituation spielt eine Rolle: Mädchen als Einzelkinder können sich technisch besser entwickeln, als wenn sie einen älteren Bruder haben; auch als Erstgeborene haben sie mehr Chancen als als Zweitgeborene.

FURCHE: Die Gesellschaft verändert sich in dieser Richtung leider nur sehr langsam.

RANFTL-GUGGENBERGER: Jede Kritik an der Koedukation bringt einem sofort ins Ghetto der Koedukationsgegner - einer Verbindung von Feministinnen und Konservativen.

FURCHE: Sie leiten die Abteilung für ressortspezifische Frauenfragen im Unterrichtsministerium. Was hat diese für Aufgaben?

RANFTL-GUGGENBERGER: Meine Arbeitsgrundlage ist die Konvention der Vereinten Nationen „zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" aus dem Jahr 1982, der auch Österreich einstimmig zugestimmt hat. Dort wird auch umfassend eine Überarbeitung der Lehrpläne, Lehrbücher und eine Anpassung der Lehrmethoden gefordert. Ministerin Hilde Hawlicek hat diese Abteilung eingerichtet, sie existiert seit rund drei Jahren.

FURCHE: Welche Schwierigkeiten ergeben sich für Ihre Abteilung innerhalb des Ministeriums?

RANFTL-GUGGENBERGER: Nicht alle Abteilungen des Unterrichtsministeriums sind an Fragen der Gleichstellung von Frauen interessiert. Wir versuchen zu konkreten Sachfragen jeweils Ansprechpartner in anderen Abteilungen zu finden, etwa zur Frage Schulmanagement, Direktorenstellen und so weiter.

Doris Ranftl-Guggenberger ist Leiterin der Abteilung für ressortspezifische Frauenfragen im Unterrichtsministerium.

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