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Teilen, bis es wehtut

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Die heißen Diskussionen über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche und ihrer Hierarchie sind sicher wichtig und notwendig. Aber es gibt noch eine andere „Hierarchie“, die vom praktisch gelebten Christentum und dem Maß der dafür gezollten Anerkennung bestimmt ist. Hier nehmen Frauen — interessanterweise oft solche, denen Amt und Würde in der echten Hierarchie relativ gleichgültig sind - zweifellos Spitzenränge ein.

Zwei solche Frauen, Mutter Teresa aus Kalkutta und Schwester Emmanuelle aus Kairo, waren jüngst zu Gast in Österreich. Beide machten auf jene, die in diesen Tagen Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung hatten, nachhaltigen Eindruck: als unverzagt Glaubende, unermüdlich Hoffende und unbegrenzt Liebende.

Mutter Teresa, die 77jährige, aus Albanien stammende Ordensfrau, besuchte die Niederlassung ihrer „Missionarinnen der Nächstenliebe“ in Wien-Leopoldstadt, die zum Sitz der Regionaloberin für Mittel- und Westeuropa erhoben wurde. Der Orden hat derzeit 344 Niederlassungen in 77 Staaten, auch in kommunistischen Län-

dem. Mutter Teresa betonte, „keine Regierung der Welt“ habe bisher ihre Schwestern beim Verkünden der Botschaft der Nächstenliebe behindert.

In einer „Rede an die Österreicher“ appellierte Mutter Teresa zum Bemühen um gute Familien und zeigte sich betroffen über die hohe Zahl von Abtreibungen: „Jede Frau, die ihr Kind nicht will, soll es zu mir bringen.“ In einem ORF-Studiogespräch trat sie für natürliche Methoden der Empfängnisregelung ein und berichtete von guten Resultaten in Indien.

Mutter Teresa erklärte auch, man dürfe Menschen nicht verurteilen, auch wenn man die von ihnen vertretenen oder praktizierten Anschauungen ablehne. Ihr Orden nimmt sich auch besonders der AIDS-Kranken . an. Mutter Teresa hat es stets abgelehnt, in dieser Krankheit eine „Strafe Gottes“ zu sehen.

„Wir müssen lernen zu teilen, bis es uns wehtut“, lautet ein Kemsatz der Friedensnobelpreisträgerin, der auch von der nun ebenfalls für den Friedensnobelpreis vorgeschlagenen, aus Belgien stammenden Sion-Schwester Emmanuelle stammen könnte. „Nicht Mitleid, sondern Gerechtigkeit“ ist das große Anliegen der 78jährigen Nonne, die nach Erreichen des Pensionsalters, vor 16 Jahren, von einer Lehrerin und Erzieherin „höherer Töchter“ zur Anwältin der Müllsammler von Kairo wurde.

In zwölf Tagen in Österreich sammelte Emmanuelle Cinquin, begleitet von ihrer ägyptischen Nachfolgerin, Schwester Sara, drei Millionen Schilling. Weitere vier Millionen sammelte die Pfarre Graz-Ragnitz in den letzten Jahren. Dieses Geld rettet 7000 hungernden Kindern in Khartum im Sudan das Leben und kommt drei medizinischen Sozialprojekten in Kairo, dem Bau von einfachen Wohnhäusern sowie einer neuen Kompostfabrik zugute, über die Schwester Emmanuelle (vom 24. bis 26. September 1987 wieder in Graz-Ragnitz zu Gast) so schön und treffend sagt: „Aus Keimen des Todes werden Keime des Lebens.“

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