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Terroristenhatz nun auch im Land der Fortschrittsträume

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Seit den Tagen der Spionageaffäre Wennerström ist kein Rechtsfall in Schweden hinter einer derartigen Mauer des Schweigens und der strengsten Abgeschlossenheit behandelt und abgehandelt worden wie jene Terroristenaffäre, die am 1. April in einem Stockholmer Vorort ihren Anfang genommen hat. Im Verlaufe einer blitzartig durchgeführten Polizeiaktion wurde an diesem Tage im Vorort Trollbäcken und an einigen anderen Orten des Landes eine große Anzahl von Personen festgenommen. Unter ihnen befanden sich der bundesdeutsche Staatsbürger Norbert Kröcher, der als Mitglied der Baader-Meinhof- Bande gilt, und sein Landsmann Manfred Adomeit; beide wurden schon zwei Tage später in die Bundesrepublik abgeschoben. Ausgewiesen wurden außer den beiden Deutschen auch zwei Mexikaner, ein Engländer und eine Frau aus Chile. Bereits verhaftet sind oder vor der Verhaftung stehen neun schwedische Staatsbürger. Alle Ausweisungen und Anklagen gründen sich auf das Terroristengesetz, -das noch unter der sozialdemokratischen

Regierung geschaffen, aber bisher noch niemals angewendet worden ist

Kröcher soll die Entführung eines ehemaligen Regierungsmitgliedes, der Frau Ann-Greta Leijon, geplant haben, um durch sie die Freigabe von gefangenen Terroristen zu erpressen. Anderswo würde eine Polizeiaktion dieser Art weder zu Pressekommentaren noch gar zu Protesten Anlaß geben. Schweden hat sich jedoch bisher in Einwanderungs- und Flüchtlingsfragen außeVordentlich großzügig erwiesen und linken Extremisten großen Spielraum gewährt.

Die acht oder neun Schweden, im Alter zwischen 22 und 30 Jahren (die Hälfte von ihnen sollen Frauen sein), die nun wegen geplanten Menschenraubes und wegen Terrorismus angeklagt werden sollen, wären die ersten Terroristen schwedischer Herkunft. An den bisher in Schweden vorgekommenen Terrortaten waren nämlich ausschließlich Ausländer beteiligt. Zu einer vergleichbaren Gewalttat ist es eigentlich nur ein einziges Mal, nämlich vor fast 70 Jahren, anläßlich eines Hafenarbeiterstreiks in Malmö, gekommen, bei dem ein englischer Streikbrecher getötet wurde. Seither waren Gewalttaten, vor allem von schwedischen Staatsbürgern verübt, in diesem Lande völlig unbekannt. Man muß diesen historischen Hintergrund kennen, um zu verstehen, warum nun ein Teil der schwedischen Presse den Aktionen der Polizei ‘und zum Teü auch der Regierung so kritisch und mißtrauisch gegenübersteht, wie dies in zunehmendem Maße der Fall ist. Daß man weder die Zahl der Festgehaltenen noch ihre Namen, weder die Verdachtsgründe noch die Anklagepunkte bisher öffentlich mitgeteilt hat und daß den bestellten Verteidigern untersagt worden ist, die Namen der Verhafteten mitzuteilen, ist eine Vorgangsweise, wie man sie bisher in Schweden noch nie erlebt hat

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