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Verhaftet!

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Es war schon tiefer Sommer, kurze Zeit nach der Ermordung des Bundeskanzlers. Im Simmeringer Brauhaus in Wien, Hauptstraße 99, fand eine große Veranstaltung der Vaterländischen Front statt. Mein Großvater, Wirt und jahrzehntelang Pächter des Simmeringer Brauhauses, überdies leidenschaftlicher Schönerer- und Schober-Anhänger, dirigierte Küche und Kellner. Der kiesbestreute Wirts-

hausgarten mit den vielen schwarzschattenden Kastanien war bumvoll. An einigen Tischen saßen Mitglieder des Deutschen Turnerbundes und tranken Bier.

Nach dem Ende der „vaterländischen" Veranstaltung strömten die Teilnehmer in den Garten. Mein Vater, der als braver Mittelschullehrer die Veranstaltung besucht hatte, setzte sich zu seinen Kameraden vom Deutschen Turnerbund. Hahnenschwänzler kamen dazu und stänkerten die

Turnbündler an. Es entstand eine Streiterei, Geschrei, Tumult..., plötzlich kam Polizei und begann, die Turnerbündler zu verhaften.

Mein Vater aber wurde von Kellnern gerettet. Sie machten nämlich eine „Mauer" und stießen ihn im Gedränge in die Küche des Brauhauses, wo meine Großmutter und meine Mutter arbeiteten. Mein Vater wurde vom Oberkellner und von meiner Mutter in den Keller gebracht.

Er wollte aber „nicht feig sein". So ging er mit dem Wirt, also meinem Großvater, auf das Bezirkspolizeikommissariat. Dort waren schon Turnbündler in Zellen geschlossen. Mein Vater kam zu ihnen. Mein Großvater fungierte als postillon d'amour zwischen mei-

nen Eltern, die damals noch Verlobte waren.

Im Wirtshaus wurde meine Mutter von mitleidigen und schadenfrohen Gästen umringt und mußte sich als Braut sagen lassen:

„Na, Fräu'n Pepperl, jetzt wird's nix mit der Heirat. Ana, der sitzen muaß, wird ois Mittelschullehrer entlassen! Meine Mutter rannte von Simmeringer Hauptstraße 99 auf Hauptstraße 3 und klopfte bei der ebenerdigen Wohnung meiner väterlichen Großeltern an. Meine Großmutter machte die Fenster auf. Als sie hörte „Der Franz ist verhaftet worden!", fiel sie in Ohnmacht.

Auch meine Großeltern väterlicherseits waren großdeutsch bis

deutschnational. Jedenfalls verbrannte meine Großmutter, nachdem sie sich von der Ohnmacht erholt hatte, „deutsche" Bilder und Schriften, so die vom Turnvater Jahn, den mein väterlicher Großvater, der Straßenbahner war, besonders verehrte.

Die Mittelschullehrer aber hielten zusammen. Der den Direktor vertretende Religionslehrer intervenierte bei Kardinal Theodor Innitzer. Mein Vater wurde bald freigelassen. Mein Großvater, der Wirt vom Simmeringer Brauhaus, ließ es sich aber nicht nehmen, seinen Gästen, die noch dazu „deutsche" Turnerbündler waren, nichts abgehen zu lassen. Er versorgte sie mit frischen Semmeln, Knackwürsten und einer Kiste Bier. Die Gruppe konnte so feiern.

Immerhin hat dieser kleine Simmeringer Vorfall im deutschen Ausland „großen" Niederschlag gefunden: nämlich im „Völkischen Beobachter", in dem ein hetzerischer Artikel gegen Österreich erschien.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an

der Universität für Bodenkultur und OVP-Gemeinderat in Wien.

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