Damit Politik in der Familie bleibt

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Zum Dossier. Das Regulationsinteresse in Europa ist gestiegen, und Sozialpakte sind im Kommen, diagnostiziert der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer. Sozialpartnerschaften auf internationaler Ebene stellen sich dem Globalisierungsdruck entgegen. Wie weit ist die Sozialpartnerschaft in der EU? Welche Auswirkungen hat der veränderte Arbeitsmarkt? Schon einmal etwas von EU-Betriebsräten gehört? Lesen Sie das Dossier!

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Zum Dossier. Das Regulationsinteresse in Europa ist gestiegen, und Sozialpakte sind im Kommen, diagnostiziert der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer. Sozialpartnerschaften auf internationaler Ebene stellen sich dem Globalisierungsdruck entgegen. Wie weit ist die Sozialpartnerschaft in der EU? Welche Auswirkungen hat der veränderte Arbeitsmarkt? Schon einmal etwas von EU-Betriebsräten gehört? Lesen Sie das Dossier!

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Europapolitik muss nicht immer weit weg, anonym, abgehoben passieren. Europapolitik kann auch auf Familienebene entschieden werden. Zumindestens wenn die Familie Blair heißt, der Vater in Londons Downing Street Nr. 10 arbeitet, und die Mutter eine streitbare Rechtsanwältin im Dienste der Gewerkschaft ist. Cherie Blair, die Frau des britischen Premiers Tony Blair, hatte die Familienpolitik ihres Mannes als unvereinbar mit dem EU-Recht geklagt. Und das oberste Zivilgericht des Landes gab der Frau Gewerkschaftsvertreterin Recht und lässt die britischen Bestimmungen zum Erziehungsurlaub jetzt vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg überprüfen. In ihrer Urteilsbegründung halten es die Richter für wahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof ebenfalls im Sinne der Anklage entscheidet. Dann müsste auch in Großbritannien das Recht auf 13 Wochen unbezahlten Erziehungsurlaub ausgedehnt werden.

Ein großer Erfolg für Cherie: Sie hat gezeigt, wer das Kommando im Haus Blair hat. Ein noch größerer Erfolg für die europäische Sozialpartnerschaft: Sie hat bestätigt bekommen, dass die von ihr ausgehandelten sozialen Richtlinien geltendes Recht im Haus Europa sind. Am Beispiel Elternurlaub zeigt sich die Wirksamkeit von Sozialpartnerschaft auf europäischer Ebene aber auch die Schwierigkeit, bis eine EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt ist. Mit dem Abschluss des Abkommens zum Elternurlaub im Dezember 1995 ist es zum ersten Mal gelungen, eine sozialpolitische Normierung auf Basis von Verhandlungen europäischer Sozialpartner zu verabschieden. Damit wurde gezeigt, dass der sogenannte "Soziale Dialog" zwischen den europäischen Sozialpartnern mehr sein kann, als ein unverbindlicher Gesprächskreis. Weitere Etappen des Sozialen Dialogs waren die erfolgreichen Verhandlungen über die Verbesserung der Qualität von Teilzeitarbeit (1997) und die Vereinbarungen gegen die Benachteiligung und den Missbrauch bei befristeten Arbeitsverhältnissen (1998).

Wer sind die Sozialpartner in Europa, die sich auf den Sozialen Dialog eingelassen haben? Auf Arbeitnehmerseite ist die Frage mit dem Verweis auf den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) einfach zu beantworten. Bei der Arbeitgeberseite ist die Sache komplizierter. Der klar vorherrschende Verband ist die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE), der jedoch nur freien Arbeitgeber- und Industrievereinigungen ohne Pflichtmitgliedschaft offen steht. Kleinerer Partner der UNICE ist der Europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP), dem Unternehmen aus den Bereichen Energie, Transport, Post und Telekommunikation, sowie öffentliche Behörden angehören. Allein die Aufzählung der an einer Sozialpartnerschaft in Europa maßgeblich beteiligten Institutionen macht ein Problem derselben deutlich. Wenn die UNICE keine Verbände mit Pflichtmitgliedschaft akzeptiert, wo sind dann so wichtige nationale Partner wie die Wirtschaftskammer Österreich vertreten?

Johannes Mayer, Geschäftsführer des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen in der Wirtschaftskammer, verweist auf den Verband der kleinen und mittelständischen Unternehmen (UEAPME), dem die Wirtschaftskammer angehört. Dem Einwurf seitens der furche, dass es dieser Organisation bislang selbst unter Anrufung des Europäischen Gerichtshofes nicht gelungen ist, einen Platz am Verhandlungstisch zu erstreiten, und deswegen die Bedeutung der UEAPME marginal sei, stimmt Mayer nur bedingt zu. Der Verband der Klein- und Mittelbetriebe werde von der UNICE schrittweise eingebunden, und man sei an guter Kooperation interessiert. Trotzdem findet es Mayer bedenklich, dass sich die europäische Vertretung der Arbeitgeberseite bislang vor allem auf die Großindustrie beschränkt.

Mayers baldiger Chef, der designierte Präsident der Wirtschaftskammer Christoph Leitl, nennt die europäische Sozialpartnerschaft "ein Spiegelbild Europas", das die Vielfalt und Buntheit des Kontinents repräsentiert. Was die europaweite Arbeitgebervertretung betrifft, wäre laut Leitl aber "Einheit und Geschlossenheit wichtig". Leitl entwirft im furche-Gespräch seine Vision einer Dachorganisation, eines "umbrella", wie es neudeutsch dafür heißt. Wichtig wäre ihm, ein Gegenstück zum EGB auf Arbeitgeberseite zu schaffen.

Gäbe es diese eine europäische Arbeitgebervertretung schon, und wäre Leitl deren Präsident, sein Visavis auf europäischer Ebene bliebe der Gleiche, mit dem er es auch im nationalen sozialpartnerschaftlichen Hin und Her zu tun hat. Fritz Verzetnitsch, der Präsident des ÖGB, ist seit 1993 EGB-Präsident. Bei der Präsentation eines Buches zu den Zukunftsperspektiven der europäischen Sozialpartnerschaft (siehe Bibliographie) bemängelt Verzetnitsch vor allem die Schwerfälligkeit des Sozialen Dialogs, wenn die "Erstellung einer Liste worüber geredet werden soll, schon zwei Jahre dauert". Der EGB-Präsident wirft der Arbeitgebervertretung UNICE vor, die Verhandlungen absichtlich zu verzögern, die Sozialgesetzgebung auf Unionsebene zu verhindern, ganz nach dem Motto: "Keine Regeln - mehr Gewinn." Oft erst die Drohung der Europäischen Kommission, die Agenden an sich zu ziehen, beziehungsweise im Sinne der Gewerkschaft zu entscheiden, brächte die UNICE zu konstruktiven Verhandlungen zurück.

Mit dieser Anklage des EGB-Präsidenten konfrontiert, meint der österreichische Wirtschaftskämmerer Mayer, dass man bisher in der UNICE "die Notwendigkeit europaweiter Lösungen nicht so eingesehen hat". Jetzt sei aber ein Umdenkprozess im Gange. Kammerpräsident Leitl, noch ganz von seiner Vision gefangen, lässt sich von den EGB-Vorwürfen nicht beeindrucken: "Wegen dieser Kleinkonflikte, soll man doch nicht das Ganze aus den Augen verlieren."

Das Ganze? Gibt es etwas, worauf sich die österreichischen Sozialpartner für die Europaebene einigen können? Verzetnitsch spricht davon, dass die EU nicht mehr nur von wirtschaftsliberalen Vorstellungen getragen sein soll. Mayer will Wettbewerbsverzerrungen durch kooperative Lösungen auf der Lohnschiene entgegenwirken. Und Leitl fordert, aus dem Kostenwettbewerb einen Standardwettbewerb zu machen. Derzeit zählt nur der Preis. Daher müssen die Wettbewerbsrahmenbedingungen um andere, auch um soziale Komponenten, erweitert werden. Verbündete suche er dazu, sagt Leitl. So ähnlich wie eine Familie vielleicht, dann wäre Europapolitik nicht nur bei den Blairs Familienpolitik.

Europa 2000. Auf dem Weg zu einem europäischen Sozialmodell. Hg. von Fritz Verzetnitsch und Zukunfts- und Kulturwerkstätte, Wien 2000, 180 Seiten, kart., öS 149,-/f10,83.

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