Die harte Hand des Vorstehers Schenute

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Schon in frühchristlichen Handschriften zeigt sich, wie pragmatisch, aber auch wie strikt in den Klöstern mit Problemen des Zusammenlebens, nicht zuletzt im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch, umgegangen wurde.

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Schon in frühchristlichen Handschriften zeigt sich, wie pragmatisch, aber auch wie strikt in den Klöstern mit Problemen des Zusammenlebens, nicht zuletzt im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch, umgegangen wurde.

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Erstaunlich und auf den ersten Blick sogar erschreckend explizit sind die Vorschriften des Abtes Schenute aus dem so genannten Weißen Kloster in Ägypten, was sexuelle Verfehlungen von Klosterinsassen betrifft. Diese Texte stammen aus dem vierten und fünften Jahrhundert. Schenute war ein lange lebender Klostervorstand, der noch in den 80er-Jahren des vierten Jahrhunderts die Leitung des Klosters übernahm und ihm bis zu seinem Tod - wohl im Jahr 467 - vorstand. Weit über 100 Jahre wurde er alt.

Es waren andere Zeiten - das muss man sich vor Augen halten, bevor man vorschnell urteilt, wenn man die klösterlichen Verbote liest. Eines der Verbote lautet: "Verflucht sei, wer auch immer einen Knaben berührt und dabei sagt, er möchte herausfinden, ob der Knabe bereits die Geschlechtsreife erreicht habe." Die erste Assoziation, wenn man einen solchen Text liest, sind natürlich kirchliche Missbrauchsskandale. Unwillkürlich fragt man sich, was dort im Kloster vor sich ging. Woher kamen diese Kinder und was machte man mit ihnen? Allerdings muss man die historische Situation dieses Klosters in Rechnung ziehen, bevor man tatsächlich beurteilen kann, was dort vor sich ging.

Ein Kloster für 4000 Menschen

Das Kloster, dem Schenute vorstand, gehört zu den wichtigsten Klöstern Ägyptens, die Figur dieses Abtes hatte prägenden Einfluss auf das christliche Mönchtum. Das Kloster des Schenute übte nicht geringe Anziehungskraft aus. Zur Zeit des Schenute lebten etwa 1800 Nonnen und über 2000 Mönche in dem von ihm geleiteten monastischen Komplex. Selbst aus heutiger Sicht stellt ein Ort mit rund 4000 Einwohnern eine kleine Stadt dar, und damals war dies nicht anders. In ganz Ägypten lebten zur damaligen Zeit fünf bis sechs Millionen Einwohner, ein einziges Kloster dieser Größe ist damit - auch in Relation zur Gesamtbevölkerung - beachtlich. Schenute und sein Kloster repräsentierten also - trotz aller Härte, die das klösterliche Leben in der Antike mit sich brachte - eine offensichtlich höchst attraktive Lebensform.

Teil der Attraktivität war sicherlich, dass Nahrungsmittel zwar vielleicht rationiert wurden, dass Fasten und asketisches Leben Teil der klösterlichen Existenz waren, dass jedoch Hunger im eigentlichen Sinn nur selten verspürt wurde, da grundsätzlich die ägyptischen Klöster produktive landwirtschaftliche Großbetriebe waren. Die ertragreiche Landwirtschaft sorgte für ein relativ sorgenfreies Leben. Man war zwar hinter den durchaus starken Klostermauern eingesperrt, dort aber vergleichsweise sicher und geborgen.

Eine Praxis unterscheidet das klösterliche Personalmanagement sehr deutlich von dem, wie heute christliche Klöster Nachwuchs bekommen: Ganze Familien traten ins Kloster des Schenute ein, die Frauen kamen in ein eigenes Kloster für die Frauen, die Männer in den Komplex für die Männer. Mit dieser Information wird auch der Sitz im Leben der klösterlichen Vorschrift deutlich. Kinder - sowohl Buben wie Mädchen -konnten auch zu den Familien gehören, die in das Kloster eintraten.

Diese unmündigen Kinder verbrachten offensichtlich die Zeit auch oder sogar weitgehend im Frauenkloster. Das ist für Mädchen selbstverständlich, führt jedoch mit Fortschreiten der Zeit bei Buben zu potenziellen Problemen. Immerhin tritt irgendwann die Geschlechtsreife ein. Das heißt, diese Vorschrift dient nicht in erster Linie dazu, einen im Kloster vorhandenen Missbrauch abzustellen.

Klosterordnung und Kinderrechte

Vielmehr geht es um die Abwägung, dass es aus Sicht des Klostervorstandes offensichtlich wichtig und nötig ist, über die Entwicklung der Buben, die mit ihren Eltern in das Kloster eingetreten waren, informiert zu sein, da sonst tatsächlich Probleme im Frauenkloster, das unter seiner Leitung stand, zu erwarten waren. Diesem berechtigten Interesse steht jedoch in der klösterlichen Ordnung klar das Recht des Kindes gegenüber, vor eigenmächtigen Übergriffen geschützt zu werden. Auch wenn mit Eintritt der Geschlechtsreife den Buben der Zutritt ins Frauenkloster verschlossen werden muss, so berechtigt das doch nicht jeden Mönch dazu, hier "Nachschau" zu halten.

Das zweite, was man aus diesen Texten herauslesen kann, ist die Tatsache, dass offensichtlich das Kloster des Schenute durchaus auch Personen anzog, die nur oberflächlich christlich sozialisiert waren. Ausdrücklich hält die Klosterregel hinsichtlich homoerotischer Beziehungen fest. "Verflucht sei jeder Mann, der sich am Schlafplatz auf einen Mann legt." Weiters heißt es: "Verflucht sei jeder Mann, der sich am Schlafplatz unter einen Mann legt." Ganz offensichtlich werden hier homoerotische Beziehungen detailliert beschrieben. Dass die passive Rolle bei einer homoerotischen Beziehung in der Antike anders bewertet wurde als die aktive Rolle, ist bekannt.

Im spätantiken christlichen Kontext waren homoerotische Beziehungen an sich verpönt, sodass man aus dieser Vorschrift herauslesen kann, dass das Kloster des Schenute auch Personen anzuziehen vermochte, die antike moralische Maßstäbe an sexuelle Beziehungen zu legen pflegten. Auch täuscht damit der erste Blick. Es war wohl keinesfalls an der Tagesordnung, dass dies geschah, vielmehr wird in aller Deutlichkeit klargestellt, was unter keinen Umständen geschehen darf.

Durchaus heftige Strafen

Die Strafe, mit der diese Vergehen bewehrt waren, darf als heftig bezeichnet werden: Die "Verfluchung", von der in der Klosterregel die Rede ist, konnte durchaus den Ausschluss aus der klösterlichen Gemeinschaft bedeuten. Aufgrund der Mittellosigkeit der Insassen - Privatvermögen wurde zwar gegebenenfalls in das Kloster eingebracht, aber im Falle eines Ausschlusses aus dem Kloster nicht zurückgegeben - war ein derartiger Ausschluss in mehrfacher Hinsicht lebensbedrohlich. Man verlor das Sozialsystem, das einem Sicherheit und alles zum Leben Notwendige zu bieten vermochte.

Dass Schenute in der Lage war, hart durchzugreifen, ist aus anderen Quellen bekannt. Zumindest einmal muss eine körperliche Strafe so hart ausgefallen sein, dass der betreffende Mönch in der Folge starb - ob er bereits krank war oder ob es eine überbordende Strafe war, ist unbekannt. Allerdings zeigt diese Nachricht sehr klar, dass Schenute seine Regeln hart und konsequent durchsetzte.

Was also auf den ersten Blick befremdlich scheint, darf als ein nüchterner Umgang mit dem gewertet werden, was bei so vielen Menschen an einem Ort zu erwarten ist -vor allem, wenn von den Erwachsenen sexuelle Enthaltsamkeit erwartet wird: Kinder werden zu potenziellen Objekten von Übergriffen. Hier kennt Schenute kein Pardon und schiebt einen Riegel vor.

Der Autor leitet ein FWF-Projekt zum Neuen Testament und seiner handschriftlichen Überlieferung an der Universität Wien

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