Fürs enge Zusammenleben

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Seit den Anfängen des Mönchtums gibt es auch klare Regeln, um sexuelle Versuchungen hintanzuhalten. Eine Spurensuche in ägyptischen Quellen aus dem 4. Jahrhundert.

Tendieren monastisch oder zölibatär lebende Männer in besonderer Weise dazu, sich an Kindern zu vergehen? Diese Frage bewegt seit Monaten die Öffentlichkeit. Schließlich sollte gerade der moralische Anspruch des christlich motivierten Zölibats derartige Verfehlungen eigentlich ausschließen. Was fehlt, ist eine Situation, in der derartige Vorfälle unaufgeregt studiert und analysiert werden können.

Hier kann ein Historiker versuchen, die Anfänge des Mönchtums aufgrund der Quellen unter dieser Fragestellung zu sichten. Die Betroffenen leben schon lange nicht mehr, und einiges lässt sich auch aus der Distanz sagen. Es ist jedoch nötig, den Blick auf das Sexualverhalten als Ganzes zu richten, über Kindsmissbrauch berichten die Quellen nur wenig. Bereits auf den ersten Blick fällt die Polemik auf: Homosexuelle Praktiken werden von den Kirchenvätern als Teil einer degenerierten Gegenwelt aufgebaut, in der Luxus, Ausschweifung und Wohlleben herrschen.

Redeverbot im Schlafraum

Aufgrund der existierenden schriftlichen Quellen kann man festhalten, dass den ägyptischen Mönchen und ihren Klostervorstehern die Problematik durchaus bewusst war, dass ein enges Zusammenleben von Männern in den Männerklöstern bzw. von Frauen in den Frauenklöstern sehr wohl homoerotische Tendenzen fördern konnte, die dann auch in ein entsprechendes Verhalten der Klosterinsassen münden konnten. Eine in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder geäußerte und durchaus plausibel klingende Hypothese ist dabei, dass der Mangel an andersgeschlechtlichen Partnern entsprechende homosexuelle Tendenzen eher gefördert haben dürfte. Die Regeln sind eindeutig und können auch für heute noch wegweisend sein. Deswegen sollen einige der Vorschriften des ägyptischen Klostervorstehers Pachom, der in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts lebte, zitiert und kommentiert werden. Sein prägender Einfluss reichte weit über Ägypten hinaus. Darin heißt es: „Niemand darf zu einem anderen dort sprechen, wo er schläft.“ Das Ziel dieser Vorschrift ist klar, die Privatsphäre des anderen soll gewahrt werden und bereits die Möglichkeit einer erotischen Beziehung soll vermieden werden. Eine weitere Vorschrift lautet: „Niemand darf einen Kranken einölen oder baden, wenn es ihm nicht befohlen wurde.“ Um es pointierter zu formulieren: Doktorspiele haben im Kloster nichts verloren.

Handlungen, die je nach Kontext entweder als medizinische Anwendung oder auch als erotische Annäherung verstanden werden können, bedürfen einer strikten Kontrolle und einer entsprechenden Öffentlichkeit. Auch körperlicher Kontakt wird vermieden: „Ihr sollt nicht zu zweit auf einer Matte oder einem Teppich sitzen. Niemand darf die Hand oder etwas anderes von seinem Genossen ergreifen. Gleich ob du sitzest, gehst oder stehst, sollst du stattdessen eine Elle zwischen dir und ihm lassen.“

Ein Jahrhundert später formuliert der Klostervorsteher des Weißen Klosters, Apa Schenute, diese Vorschrift so, dass tatsächlich niemand mehr an dem Kontext zweifeln kann, in den diese Vorschrift gehört: „Wer aber zu zweit auf einer Matte oder überhaupt nahe beieinander liegt, um sich aus fleischlicher Begierde gegenseitig zu berühren oder auch nur anzustoßen, sei ausgeschlossen, gleich ob Mann oder Frau.“ Apa Schenute hält es also eindeutig für möglich, dass es zu homoerotischen Beziehungen bzw. Handlungen zwischen zwei Mönchen oder zwei Nonnen in einem seiner Klöster kommen könnte. Die Konsequenz aus einer ein einziges Mal praktizierten homosexuellen Beziehung, aus einer sexuellen Verfehlung unter erwachsenen Klosterinsassen war damals der Ausschluss aus der klösterlichen Gemeinschaft, nicht jedoch die Versetzung.

Ausschluss, nicht Vertuschung

Immerhin wird die Möglichkeit homosexuellen Kontakts von Mönchen bzw. Nonnen in den Klosterregeln angesprochen. Sexuelles Fehlverhalten gegenüber unmündigen Kindern wird hingegen in diesen Vorschriften letztlich nicht thematisiert. Bei der Untersuchung der Texte fällt jedoch etwas ganz anderes auf: Während der räumliche Abstand zwischen zwei Mönchen bzw. zwischen zwei Nonnen eine Elle betragen soll, finden sich rechtliche Vorschriften, dass Klosterfrauen der Beerdigung ihrer Mitschwestern nur aus der Ferne zuschauen dürfen. In der wissenschaftlichen Literatur wurde dies teilweise mit der Anfälligkeit der Frauen für abwegige religiöse Vorstellungen und Praktiken erklärt: Gerade bei Beerdigungen hätten Frauen — und damit auch Klosterfrauen — angeblich dazu tendiert, vorchristliche und dezidiert heidnische Praktiken aufzugreifen, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen und dem Verstorbenen eine gelingende Reise ins Jenseits zu ermöglichen.

Nun fällt aber auf, dass nur Klosterfrauen von dieser Regelung betroffen sind, nicht jedoch verheiratete Frauen. Und so ist die Erklärung, dass diese Regelung wohl eher mit der Rolle der Frau als Versucherin zu tun hatte, einleuchtender. Mönche waren bei der Beerdigung der Klosterfrau des benachbarten Klosters meist zahlreich anwesend, für diese konnten die zölibatären Frauen eine Versuchung darstellen, deswegen das Verbot der Teilnahme an den Beerdigungen ihrer Mitschwestern. Dies wird auch durch die von Johannes Moschus überlieferte Anekdote vom Wunder des toten Abts Thomas deutlich: Dieser drückte nachts so lange eine über ihm beigesetzte Frau aus dem Grabe wieder heraus, bis man begriffen hatte, dass er nicht mit einer Frau zusammen bestattet sein wollte. Viel besser kann die Furcht vor den Reizen der Frau nicht zum Ausdruck gebracht werden.

„Meide den Bischof und das Weib …“

Die homoerotische Anziehung, wie auch die erotische Anziehungskraft Unmündiger wird in dieser Zeit offensichtlich als viel geringere Gefahr gesehen als die erotische Anziehung zwischen Mann und Frau. Ein Sprichwort der Mönche war: „Meide den Bischof und das Weib, dieser will dich zum Priester machen, jene aber will dich verführen.“ Von Männern und Kindern ist nicht die Rede. Und so sieht sich der Historiker vor der Frage, ob in der Furcht, dass gerade zölibatäre Männer den erotischen Reizen von Frauen erliegen könnten, ein wichtiger Grund für den Ausschluss von Frauen aus den kirchlichen Ämtern zu suchen ist — schließlich gab es in der Antike zumindest Diakoninnen. Gleichzeitig wurde offensichtlich die Gefahr sexueller Verfehlungen für Mönche höher eingeschätzt als für (verheiratete) Laien. Anders ist der notwendige „Sicherheitsabstand“ gegenüber Frauen nicht erklärbar. Über einen grundsätzlichen Zusammenhang von Mönchtum, Homosexualität und Kindsmissbrauch lässt sich nichts in den Quellen finden. Als Grundsatz des ägyptischen Mönchtums im vierten Jahrhundert darf also gelten: Bereits in den Anfängen des Mönchtums sucht man, sexuelles Fehlverhalten zu verhindern, indem man Situationen, in denen derartige Handlungen aufgrund körperlicher Nähe oder fehlender sozialer Kontrolle vorkommen konnten, möglichst vermied. Kam es zu Fehlverhalten, wurde dies allerdings rigide bestraft, nicht vertuscht.

* Der Autor arbeitet, vom Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert, an der Universität Wien an koptischen Handschriften.

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