Herrgottswinkel kontra Chatroom

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In diesen zwei Begriffen drücken sich ganz unterschiedliche Lebensformen aus. Den Herrgottswinkel kenne ich aus dem konservativ-bäuerlichen römisch-katholischen Umfeld. Die dazugehörige Frömmigkeit ist in Tirol nach wie vor da, eine Frömmigkeit, die oft noch den Evangelischen das Leben schwer macht, bewußt oder unbewußt. Nach dem unausgesprochenen Motto: wozu muß es denn noch die protestantische Kirche geben, wir sind doch da. Es ist eine Frömmigkeit, die sich mit Tradition begnügt und von den Priestern erwartet, daß sie bewahren, was schon immer war. Diese Art, die Kirche wahrzunehmen, gibt es nicht nur bei älteren Menschen.

Die Lebensform derer, die sich der Chatrooms bedienen, ist eine ganz andere. Das dazugehörige Lebensgefühl ist fun, die Frage, die gestellt wird: Was bringt's mir? Kirche ist für sie out, sie sind desinteressiert, sowohl gegenüber der katholischen wie auch der evangelischen Kirche.

Wenn Fragen nach Schmerz, nach Tod, nach Scheitern, nach Einsamkeit, auftauchen, die ihnen ihre Kultur nicht beantworten kann, außer mit der Feststellung: shit happens, die ihnen aber trotzdem weiterhin auf der Seele brennen, dann kann es schon sein, daß sie sich in einen religiösen Chatroom wagen und dort vorübergehend Kontakt zur Kirche bekommen. Aber das war's dann auch wieder. Die Chatroomfrömmigkeit fördert einen Glauben, wo Konfessionen beliebig gewählt werden. Wenn überhaupt Kirche, dann nur, wenn ein Wahnsinns-Event angeboten wird, ein Rave-Gottesdienst zum Beispiel. Und für die, die aus dem Teenageralter herauswachsen, stellt Kirche dann vielleicht die Kulisse für eine Trauung oder Taufe.

Herrgottswinkel kontra Chatroom ist in meinen Augen trotzdem nur eine vordergründige Gegnerschaft. Beides ist Ausdruck eines Lebensgefühls, das sich hauptsächlich auf ein individuelles Glück konzentriert. Kirche ist dabei der Ort, an dem die private religiöse Sehnsucht befriedigt wird.

Es liegt an uns, ob wir uns damit zufriedengeben. Christlicher Glaube ist zu mehr imstande, kann die Welt verändern. Aber dazu müssen wir endlich einfordern, daß die Kirchen nicht nur Orte sind, wo wir Kraft schöpfen können und wollen, sondern auch Ausgangspunkte für Menschen, die mit- und füreinander an einer Gesellschaft mitbauen, die Platz hat für alle.

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