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Anmerkungen zur Debatte um die Kirchenaustrittswelle 2004.

Fast 50 000 Menschen haben die Sendung am Ende der Messe ("Geht hin in Frieden") wohl eher als Entlassung verstanden und die katholische Kirche im Jahre 2004 verlassen. Sehr schnell wurde zu deuten und erklären versucht und - wohl auch zur Erleichterung einzelner Kirchenvertreter - die "Schuld" bei einzelnen Personen (Groër, Krenn) bzw. damit verbundenen Ereignissen gefunden.

Es sind aber nicht nur diese - medial auch entsprechend aufbereiteten - widerlichen Dinge, welche Kirchenaustritte initiieren. Immer mehr Menschen stellen sich die Frage: Was nützt mir die Mitgliedschaft in der Kirche? Was fehlt mir wirklich, wenn ich nicht mehr dabei bin?

Traditionen haben ihre Kraft der Sinndeutung und des Zusammenhaltes weitgehend verloren, Mitgliedschaften werden nach ihrem "Output" für den Einzelnen bewertet. So sind Jugendliche sehr wohl bereit, sich in Organisationen zu engagieren - aber nach der Devise "helping for fun": Es muss Spaß machen, dann bin ich bereit für meinen "Input" (Zeit und Geld). Spaß darf hier aber nicht mit oberflächlicher Unterhaltung verwechselt werden; sehr oft erfahren Menschen dabei auch ihren persönlichen Lebenssinn, zumindest kurzzeitig.

Was tut mir gut?

Sinnsuche heute wird - besonders unter der Jugend, die soziologisch gesehen auch noch die fast 30-Jährigen umfasst - als Lebenshilfe und nicht als Lebenseinschränkung gesehen. Was gefordert und erwartet wird, muss mir spürbar gut tun - hier und jetzt. Schule, Beruf und gewisse gesellschaftliche Grundregeln ("was man einfach nicht tut") engen den eigenen Lebensradius ohnehin ein - weitere Beschränkungen werden nur akzeptiert, wenn sie sich in das eigene momentane Lebenskonzept integrieren lassen.

Institutionen können sicherlich Beheimatung bieten. Doch wie sollen sich in der katholischen Kirche Geschiedene, zusammenlebende Paare oder Homosexuelle beheimatet fühlen, wenn man zwar ihre Kirchenbeiträge freudig akzeptiert, sie aber gleichzeitig von bestimmten Sakramenten ausschließt oder ihre Lebensform verurteilt bzw. als Krankheit, die zu heilen notwendig sei, diffamiert?

Den Glauben verloren

Dazu kommt, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte die Trennung von Kirche und Staat immer deutlicher wurde durch eine steigende Privatisierung von Religion. Der angeblich zu ortende "Megatrend Spiritualität" bezeichnet keine organisierte und in traditionelle Institutionen eingebundene religiöse Sehnsucht, sondern ein freies Fischen in den vielfältigen Gewässern unterschiedlichster Sinnangebote.

War Religion einstmals ein verbindendes Band innerhalb der Gesellschaft, empfinden immer mehr Menschen heute Religion in organisierter Form eher als bedrohlich (z. B. Islamismus) oder als bloßen Aufputz der eigenen biografischen Lebenshöhepunkte. Geht es jedoch um die Deutung der menschlichen Lebenssehnsüchte, hat die Kirche als verkündende Organisation ihre Rolle weitgehend verspielt. Aber eben nicht primär wegen irgendwelcher Skandale und "Streiche", sondern weil immer mehr Menschen ihren Glauben verloren haben. Fundamentale christliche Begriffe und Vorstellungen, die sich in profaner Form in Riten und Bräuchen manifestiert haben, sind ohne entscheidende Lebensrelevanz geblieben. Schließlich verschwinden beide, Inhalt und Ausformung, aus dem Leben der Menschen.

Was ich glaube und wie ich lebe, kann kongruent sein, muss es jedoch nicht. Und wenn es passt, heißt das noch lange nicht, dass mir meine Lebensanschauung und -gestaltung von einer Organisation vorgeschrieben werden darf und soll. Warum soll jemand, der nun so denkt und handelt, sich also innerlich schon längst von den vorgegebenen und vorgedachten Inhalten verabschiedet hat, nicht auch den letzten - formalen - Akt des Austrittes setzen, wo doch keinerlei gesellschaftliche oder soziale Ächtung damit verbunden ist?

Lassen wir uns nicht von Megaevents wie fetzigen Jugendmessen oder einem Happy-feeling bei Jugendtreffen täuschen: Solche Ereignisse sind für die meisten ein Termin auf ihrer spirituellen Spaß- und Eventsuchtournee und dürfen nicht als Ausdruck einer emotionalen oder institutionellen Zugehörigkeit zur Kirche gedeutet werden. Selbst wenn bei diversen Befragungen Jugendlicher und Erwachsener immer wieder die Sehnsucht nach "Religiösem" durchklingt, kann letztlich alles oder auch nichts damit gemeint sein. Entscheidend bleibt, ob die Option dafür auch meine Entscheidung ist - mit dem selbstverständlichen Recht, sie jederzeit widerrufen zu dürfen.

Was mir Sinn und Identität vermittelt, wird so bedeutend, dass es verehrt (= heilig gesprochen) wird. Dabei geht es jedoch nicht anarchisch zu. In jeder Szene gibt es "Gebote" (Regeln), an die man sich sogar sehr genau halten muss. Der einzelne erhält dadurch das Gefühl der Ordnung und Wegweisung, man weiß, "wo es langgeht". Es entstehen Gemeinschaften, die aber nie den Anspruch der (Heils-)Exklusivität erheben. Ein (virtueller) Austritt ist somit kein Abfall, sondern eine Veränderung (hoffentlich auch eine Verbesserung).

Vertrösten statt Trost

Was Kirchen erkennen und begreifen müssen, ist, nur mehr eine Institution, ein Anbieter unter vielen zu sein und nicht bloß auf der Schiene von Tradition und abendländischer Kultur zu argumentieren. Wer so mit sich selber beschäftigt ist (so wichtig auch kircheninterne Fragen sind), merkt nicht, was "draußen" wirklich vor sich geht. Und: Es gibt außer Sexualität und Sonntagheiligung noch andere brennende Themen, zu denen sich der moderne Mensch eine Deutung seitens der Kirchen erwarten würde. Sonst bleibt vielleicht wirklich nur die Aufgabe, in Katastrophenfällen die Trostinstanz zu sein. Aus Trost kann jedoch leicht mangels tragender Antworten Vertröstung werden.

Der Autor arbeitet am Religionspädagogischen Institut der Erzdiözese Wien.

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