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„Der kriminelle Charakter überwiegt“

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FURCHE: Fast täglich werden Flugzeuge in aller Welt entführt. Reicht das österreichische Strafrecht aus dem vorigen Jahrhundert aus, diese Delikte zu bestrafen? Unter welchen Voraussetzungen ist österreichisches Strafrecht überhaupt anzuwenden? GRASSBERGER: Das österreichische Strafrecht ist auf Flugzeugentführungen und deren Folgetaten anzuwenden, wenn der Täter österreichischer Staatsbürger ist, die Tat sich auf österreichischem Hoheitsgebiet oder an Bord eines in Österreich registrierten Flugzeuges ereignet hat. Als Hoheitsgebiet gilt auch der Luftraum über Österreich.

FURCHE: Der Täter verwirklicht bei einer Flugzeugentführung mehrere mit schweren Strafen bedrohte Delikte. GRASSBERGER: Ja, Gewalttaten, die gegen Personen, die ein Flugzeug führen, vorgenommen werden, stellen eine Willensbeugung dar, da diese Personen gezwungen werden, einen vom Terroristen begehrten Kurs einzuschlagen. Die Willensbeugung wird als Erpressung bestraft. Ist mit der Entführung des Flugzeuges eine Gefahr für die im Flugzeug transportierten Personen verbunden und hat der Täter eine Gefährdung dieser Personen vorsätzlich in Aussicht genommen, so verwirklicht er damit das Verbrechen der boshaften Handlungen und Unterlassungen unter besonders gefährlichen Umständen.

Außerdem liegt in jedem Fall, in dem ein Flugzeug gezwungen wird, auf einem anderen als dem in Aussicht genommenen Flugplatz zu landen, nach österreichischem Recht eine Einschränkung der persönlichen Freiheit vor. FURCHE: Nun haben Flugzeugentführer meistens eine über den Akt der Entführung hinausgehende Absicht. GRASSBERGER: Halt der Flugzeugentführer die Absicht, einen oder mehrere Insassen des entführten Flugzeuges in die Gewalt einer auswärtigen Macht zu bringen — als welche auch Terroristenorganisationen zu bewerten sind — dann liegt nach österreichischem Recht auch das Verbrechen des Menschenraubes vor. Wird das Flugzeug aber entführt, eine Regierung, ein Gericht oder eine öffentliche Behörde zu veranlassen, ihre Entscheidungen in einer bestimmten Richtung zu erledigen, also etwa ein Strafverfahren nicht durchzuführen, einen zu einer Strafe Verurteilten freizulassen oder auszuliefern, dann liegt das Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit vor. Eben dieses Delikt ist auch verwirklicht, wenn gedroht wird, daß die Insassen verschleppt, getötet oder sonstwie geschädigt werden. FURCHE: Die Terroristen und Entführer argumentieren allerdings durchwegs, daß es sich bei ihren Taten um politische Delikte handle...

GRASSBERGER: Im Falle eines politischen Deliktes kann gemäß den internationalen Rechtvorschriften eine Auslieferung nicht erfolgen, ebensowenig wie der Täter, sollte er in Österreich gefaßt werden, unter dem Aspekt der Weltrechtspflege bestraft werden kann. Nun unterscheiden wir bei den politischen Delikten solche, die absolut politischer Natur sind, sich also gegen die politischen Rechte der Staatsbürger richten und solche relativ politischer Natur, die sich gegen allgemein geschützte Rechtsgüter wenden, denen aber ein politisches Motiv zugrunde liegt Im allgemeinen wird man annehmen, daß bei Flugzeugentführungen aber der kriminelle Charakter der Tat überwiegt. FURCHE: Die Tatsache, daß trotz eindeutiger strafrechtlicher Normen Flugzeuge entführt werden, wirft ein anderes Problem auf: nämlich, daß politische Entscheidungen Normen außer Kraft setzen.

GRASSBERG ER: Nun — das ist freilich eine Tatsache, die jedes Recht betrifft...

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