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Gib-und Nimm-Börse

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Kürzlich hatte mich die Beparatur eines tropfenden Wasserhahns 1.000 Schilling gekostet, weil der Installateur jede begonnene Arbeitsstunde voll verrechnet und sein Experte eine beträchtliche Wegstrecke mit dem Auto zum Einsatzort zurückzulegen hatte.

Seither verstehe ich, warum der Umfang jährlicher Pfusch-Leistungen in Österreich auf 200 Milliarden Schilling geschätzt wird. Ich wollte, als der Hahn neuerlich tropfte, diesen kriminellen Staatsschaden nicht vergrößern und kalkulierte zunächst, daß der Wasserverlust durch den undichten Hahn erst in etwa zwei Jahren 1000 Schilling kosten würde. Nur ökologische Bedenken ließen mich auf frühere Abhilfe sinnen.

Da vernahm ich die Kunde von der Gib- und Nimm-Börse. Das ist eine neue, nicht gewerbsmäßige Privatinitiative. Viele Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten und tauschen sie bargeldlos nach einem Punktesystem aus. Fensterputzen oder Bügeln gegen Fliesenkleben oder Basenmähen. Die Gib- und Nimm-Börse vermittelt. Da müßte doch Wasserhahnabdichten auch möglich sein.

Die freundliche Börse befindet sich im Kellergeschoß eines Pfarrhofes und genießt die Gastfreundschaft der sonst hier amtierenden Caritas. Der Empfang war freundlicher als in jedem gewerbsmäßigen Betrieb. Ich hatte eine geringe Aufnahmegebühr zu bezahlen und ein Statutenformular zu unterschreiben, in dem der Verzicht auf Garantie und Gewinn festgelegt war. Dann konnte ich meine Wünsche vorbringen.

„Ein Wasserhahn ist abzudichten, bei mir daheim!” Ich wies auf meine Formulardaten hin und ergänzte sie durch die Telefonnummer.

„Schon wieder!” seufzte die Gib-und Nimm-Maklerin. „Das ist heute schon der fünfte!” Sie tickerte im Computer. „Da haben wir leider nur ein einziges Angebot, der Mann ist eigentlich Konditor, aber schon 20 Jahre in Österreich, sehr anständig und ordentlich, hat auch das nötige Werkzeug, verfügbar jeden zweiten Dienstag abends. 23 Wasserhähne sind schon vorgemerkt. Es kann eine Weile dauern!” „Es eilt nicht!” entgegnete ich. „Der Hahn tropft nur mäßig.” Sie merkte den 24. Hahn vor. „Ihr Gegenleistungsangebot?” fragte sie. Ich gestand verlegen, daß meine Leistungsstärke eher eine schriftliche sei. Ich sei ein Dichter und könne eine Hymne oder eine Satire auf die Wasserleitung schreiben.

Die Maklerin blickte mich so entsetzt an, als hätte ich die Beschaffung von Bauschgift oder Sprengstoff angeboten. Nach einer Pause, in der sie schweigend den Kopf schüttelte, fragte sie mich hilfreich: „Können Sie vielleicht babysitten? Das bringt zehn Punkte pro Stunde.”

Ich hatte noch nie babygesittet, aber ich dachte an die Preise der professionellen Installateure und nickte ein schüchternes Ja.

Sie gab mir die Adresse des offensichtlich kinderreichen Konditors und empfahl mir, mich als Babysitter vorzustellen. Nach Einholung häuslicher und fachliterarischer Information über Babysitting begab ich mich an den Ort meiner börsenvermittelten Verwendung. Der Menschenauflauf vor der Türe irritierte mich. 14 Babysitter, elf davon weiblich, boten ihre Dienste an. „Heute nicht!” wehrte sie der installationskundige Konditor ab. „Vielleicht übernächste Woche!”

Seit drei Monaten harre ich meiner Anforderung. Der Wasserhahn tropft. Ich gedenke mit Hilfe des Berufsförderungsinstituts oder der Volkshochschule von Babysitter auf Wasserhahninstallateur umzusatteln. Ich möchte gerne einen Mangel-Pfusch an der Gib- und Nimm-Börse anbieten.

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