Den Todfeinden nicht die Mittel stellen

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Die konsequente Vorgangsweise - vor allem des Verfassungsgerichtshofs - hat in Österreich große Wirkung gezeigt.

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Die konsequente Vorgangsweise - vor allem des Verfassungsgerichtshofs - hat in Österreich große Wirkung gezeigt.

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Die Frage, ob man rechtsextreme, neonazistische und rassistische Kräfte mit staatlicher Repression, durch Verbote von Parteien und Aktivitäten wirkungsvoll bekämpfen kann, sollte meines Erachtens nicht abgehoben theoretisch, sondern im Lichte sowohl historischer als auch gegenwärtiger Erfahrungen diskutiert werden.

Joseph Goebbels, der als NS-Propagandachef maßgeblich zum Aufstieg der NSDAP beigetragen hatte, sprach von der "Dummheit der Demokratie", die "ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde". Ohne die Entwicklung vor 1933 mit der Situation von heute zu vergleichen und zu spekulieren, ob ein rechtzeitiges Verbot dieser Partei die Machtergreifung 1933 verhindert hätte, kann gesagt werden, dass zumindest der legale Weg zur Macht erschwert worden wäre. Die Erfahrungen mit dem Verbot der NSDAP in Österreich 1933-38 zeigen, dass damit deren Wachstum zwar nicht verhindert werden konnte, eine Machtergreifung aus eigener Kraft (ohne die militärisch-politische Intervention Hitlerdeutschlands) jedoch kaum möglich gewesen wäre.

Als Ergebnis der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs hatte die wiedererstandene Republik Österreich in dem 1945 beschlossenen Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP jede Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn verboten. Die antifaschistische Verfassungsordnung wurde freilich lange Zeit von Politikern und Juristen nicht ernst genommen; Innen- und Justizminister erklärten, dass diese Verfassungsbestimmungen hinsichtlich des Verbots neonazistischer Parteien nicht unmittelbar anwendbar seien oder nicht angewendet werden sollten. Fragwürdige politische Überlegungen - Verbote und Verfolgungen schaffen "Märtyrer" oder die angebliche Attraktivität illegaler politischer Tätigkeit für Jugendliche - wurden in der Praxis höher gestellt als die Verfassung. Es ist das Verdienst des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), dem Antifaschismus in der österreichischen Rechtspraxis zum Durchbruch verholfen zu haben. Im ANR-Erkenntnis des VfGH 1985 - es ging um die Zulassung der neonazistischen Gruppe ANR bei Hochschülerschaftswahlen - wurde festgestellt, dass das Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung "unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht", ja "umfassende Maßgabe jeglichen staatlichen Verhaltens" und "allgemeine Generalklausel" der österreichischen Rechtsordnung ist - für alle Behörden und Gerichte der Republik Österreich verbindlich.

Auch die lange Diskussion, ob nach dem Parteiengesetz 1975 konstituierte Parteien wegen NS-Orientierung aufgelöst werden können, wurde vom VfGH mit der Nichtexistenzerklärung der NDP 1988 eindeutig entschieden. Schließlich wurde auch die Untersagung der Kandidatur einer wahlwerbenden Gruppe bei der Nationalratswahl 1990 (Liste Nein zur Ausländerflut) vom VfGH für rechtens erklärt. Die NDP, deren Führer Norbert Burger bei der Bundespräsidentenwahl 1980 immerhin 140 000 Stimmen (3,2 Prozent) erreicht hatte, verschwand sang- und klanglos. Im Besonderen hat die Verbotsgesetznovelle 1992 zum Niedergang neonazistischer Organisationen beigetragen.

Die konsequente Vorgangsweise erreichte eine über die Aburteilung von Einzeltätern hinausgehende Wirkung: die militanten Gruppen wurden, vor allem im Zusammenhang mit den Briefbombenermittlungen, zerschlagen; offen neonazistische Zeitungen können in Österreich nicht legal und mit billigem Zeitungsporto verbreitet, Kundgebungen und Wehrsportübungen nicht mehr abgehalten werden; rechtsextreme Medien und Aktivisten befleißigen sich einer gemäßigteren Ausdrucksweise.

Ungeachtet dieser Erfolge ist dem Verfasser bewusst, dass diese nur eine Dimension der Bekämpfung sind. Verbote und Verurteilungen schließen pädagogische Bemühungen, mediale und publizistische Information und Aufklärung sowie politische Aktivitäten nicht aus. In der Auseinandersetzung mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Bestrebungen ist es notwendig, alle der Demokratie zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen.

Der Autor ist Präsident des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands.

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