Finaler Kraftakt eines Bewahrers

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Tadellos: "Palestrina", das Meisterwerk des deutschen Spätromantikers Hans Pfitzner an der Wiener Staatsoper.

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Tadellos: "Palestrina", das Meisterwerk des deutschen Spätromantikers Hans Pfitzner an der Wiener Staatsoper.

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In den Augen von Thomas Mann komponierte Hans Pfitzner - zumindest bis sich die beiden Künstler im Streit entzweiten - "die sympathischste Musik der Moderne". Da hat der Mann nicht ganz unrecht: Mit "Palestrina", der letzten heurigen Premiere an der Wiener Staatsoper, hat der Spätromantiker Pfitzner ein Meisterwerk von höchster Ausdruckskraft und Sensibilität hinterlassen. Der kompositorische Kraftakt, dem Richard Wagner als schöpferischer Übervater Pate stand, ist ein letztes gewaltiges Aufbäumen der Tonalität und des Pathos - und leider auch ein Produkt der unsäglichen Deutschtümelei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Pfitzner sah sich als der große Bewahrer traditioneller deutscher Tonkunst, was sich im Inhalt der Oper widerspiegelt: Der Renaissance-Komponist Giovanni Pierluigi Palestrina (1525 bis 1594) ist der Legende nach Retter der abendländischen Musik. Als beim Konzil von Trient die Mehrstimmigkeit aus dem Gottesdienst verbannt werden sollte, weil sie der Klarheit des göttlichen Wortes widerspreche, beeindruckte Palestrina mit einer polyphonen Messe derart, daß jenes Verbot, das auf die Musikgeschichte verheerende Auswirkungen gehabt hätte, unterblieb. (Die Tonalität und das Deutschtum hingegen waren nicht zu retten, trotz aller Pfitznerschen Anstrengungen) Meisterhaft bringt Dirigent Peter Schneider in der Staatsoper vor allem in der Ouvertüre und im Finale des ersten Aktes die ganze Tiefe und Wucht des Werkes zu Gehör. Regisseur Herbert Wernicke hat die Handlung in die Gegenwart verlegt, was allerdings einen katholischen Staatsstreich voraussetzt, denn anders wäre die Allmacht des Klerus nicht zu erklären. Optisch hingegen ist der zeitliche Kontext ein wahrer Glücksgriff, denn das Bühnenbild, das auch von Wernicke stammt, ist schlichtweg genial: In einem Konzertsaal bekommt Palestrina (heldenhaft: Thomas Moser) von Kardinal Borromeo (Franz Grundheber) den Kompositionsauftrag für die Messe, die das Überleben der Polyphonie sichern soll. Doch der alte Palestrina ist ausgebrannt, seine Schaffenskraft ist dahin. Er lehnt den Auftrag ab. Da erscheinen ihm die Komponisten vergangener Zeiten und seine verstorbene Frau, hinter den Orgelpfeifen tut sich der Himmel auf und der Engel Chor hebt zu singen an. Wie im Rausch notiert Palestrina das Gehörte, dann sinkt er erschöpft zusammen.

Am Konzil geht es heiß her. Die gegensätzlichen Interessen kirchlicher Würdenträger, Fürsten und Nationen prallen aufeinander, es endet in einem Blutbad unter den Soldaten der verfeindeten Parteien. Am Ende des Konzilaktes, einer äußerst detailreichen, aber vielleicht zu ausführlichen Abschweifung vom eigentlichen Thema, eilen die hohen Herrschaften zur mit Spannung erwarteten Messe; der Sohn Palestrinas (Juliane Banse) hat die von seinem Vater vollgekritzelten Notenblätter eingesammelt und dem Kollegium überreicht.

Die Messe wird zum Triumph Palestrinas und der Mehrstimmigkeit. Sogar Papst Pius IV. gratuliert, doch Palestrina ist nach dem finalen Kraftakt nur noch ein Wrack. Selbst die Tatsache, daß sein Lieblingsschüler Silla (Angelika Kirchschlager) ihm den Rücken kehrt und neue musikalische Wege beschreitet, vermag ihn nicht mehr zu berühren. Berührt hingegen war das Publikum, das die Sänger mit verdientem Applaus und den Dirigenten mit ebenso verdientem Jubel bedankte.

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