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Otto von Freising kehrt heim

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Am 30. Oktober wurden die Gebeine eines berühmten Österreichers, des Babenbergers und als selig verehrten Bischofs Otto von Freising, im Wiener Naturhistorischen Museum in ein mit Atlasseide ausgeschlagenes Inneres eines goldenen Reliquiars gebettet. Damit hat eine schicksalhafte Odyssee ihr Ende gefunden.

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Am 30. Oktober wurden die Gebeine eines berühmten Österreichers, des Babenbergers und als selig verehrten Bischofs Otto von Freising, im Wiener Naturhistorischen Museum in ein mit Atlasseide ausgeschlagenes Inneres eines goldenen Reliquiars gebettet. Damit hat eine schicksalhafte Odyssee ihr Ende gefunden.

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Otto, Sohn des Markgrafen Leopold III. des Heiligen und der Kaisertochter Agnes, Enkel Kaiser Heinrichs IV. und Onkel Kaiser Friedrichs I. Barbarossa, hatte vor 822 Jahren die österreichische Mark für immer verlassen und war Abt des Zisterzienserklosters Morimond (Burgund) geworden. Als 1954 in den Klosterruinen von Morimond eine Spitzhacke mit dumpfem Klang auf eine Bleikassette mit Skelettresten traf, bedeutete dies den Anstoß für die Heimkehr des Babenbergers. Die Knochenreste in der Kassette ließen die Vermutung aufkommen, es könnte sich um die vermißten Reliquien Ottos von Freising handeln. Zur Untermauerung dieser Annahme sollten im Naturhistorischen Museum in Wien anthropologische

Untersuchungen durchgeführt wer- m.

Zwischen dem Jahr der Auffindung dei geheimnisvollen Kassette und der Ankunft in Wien 1966 lag eine Zeit intensiver wissenschaftlicher Forschungen am Fundort selbst. Dr. Leopold Grill, ein österreichischer Zisterzienser, setzte als erster in den Klosterruinen den Spaten an, um das Rätsel durch exakte wissenschaftliche Daten zu klären. Bei den Grabungen in Morimond stellte ich heraus, daß die Kassette am Fuß einer umgestürzten Säule neben dem Sockel jenes Grabes verborgen war, das aus den Urkunden als das Grab Ottos von Freising bekannt war. Damit war der erste Hinweis auf die Identität des als selig verehrten Babenbergers gegeben. Historiker rekonstruierten den Lebensweg des Bischofs: Im Alter von etwa 20 Jahren — das war 1132 — entsagte der in Klosterneuburg aufgewachsene und an der neugebauten Kirche bereits zum Propst ernannte Otto der Welt und trat inden Orden der Zisterzienser ein. Er wurde Mitbegründer des Klosters Heiligenkreuz und des Chorherrenstiftes Klosterneuburg. Noch im selben Jahr erhob man ihn auf den Bischofsstuhl von Freising (heute Erzdiözese München-Freising). Am 22. September 1158, als er sich gerade auf dem Weg in das Stammkloster Citeaux befand, starb er in seiner Abtei Morimond.

Otto hinterließ nicht nur ein großartiges geistliches, sondern auch ein bedeutendes wissenschaftliches

Werk. Er schrieb eine Weltgeschichte in acht Bänden und verfaßte für seinen kaiserlichen Neffen Friedrich Barbarossa zwei Bände, die „Gesta Friderici“ (Taten Friedrichs). Otto wurde nach seinem Tod zunächst vor dem Hochaltar der Abteikirche in einem Erdgrab bestattet. Mit dem Neubau des Kirchenchores kamen seine sterblichen Überreste ln ein Hochgrab.

Als schließlich die Französische Revolution das Land verheerte, plünderte ein Pöbelhaufen das , Kloster von Morimond und zerstörte es bis auf die Grundmauern. Dabei wurde auch das Grab Ottos nicht geschont, die Gebeine wurden aus dem Sarg herausgerissen. Unbewiesenen Überlieferungen zufolge kehrte ein überlebender Mönch, als die Ausschreitungen zu Ende waren, wieder zu den Klosterruinen zurück und sammelte die verehrten Reliquien ein. Ottos Gebeine kamen dabei in eine aus den Bleistücken des Sarges primitiv zusammengefügte Kassette — in eben jene, die nunmehr zum Vorschein kam.

Das anthropologische Urteil, das von den Wiener Experten des Naturhistorischen Museums gefällt wurde, lautet in kurzen Schlagworten:

• Es sind die Gebeine eines einzigen männlichen Individuums.

Der Mann starb im Alter von 42 bis 48 Jahren — Otto von Freising wurde 46 Jahre alt.

• Das Fußskelett beweist, daß er ein überdurchschnittlich großer Mann gewesen sein muß — aus der Geschichte ist bekannt, daß die Babenberger ein Geschlecht von außergewöhnlich großen Menschen waren.

• Das Muskelrelief an den Knochen zeigt: Der Mann war zu Lebzeiten kein manueller Arbeiter — Otto hatte als Abt, Bischof und Wissenschaftler geistige Arbeit geleistet.

Mit diesen Ergebnissen waren die letzten wissenschaftlichen Beweise geliefert.

Die identifizierten Gebeine erhielten ein Reliquiar, das eines Babenbergers und Bischofs würdig ist: Der Schrein ist schwer vergoldet und mit den Ehrenzeichen Ottos von Freising geschmückt.

Die Entscheidung, wo der Reliquienschrein nun aufgestellt werden soll, ist noch nicht gefallen. Zur Debatte stehen Freising und Klosterneuburg. In Freising gelangte Otto zur Bischofswürde. Klosterneuburg war die Heimat seiner Kindheit, das dortige Stift hat er mitbegründet.

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