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OTTO VON FREISING / MANN ZWEIER REICHE

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Soeben hat in Wien, vielbeachtet, das Schottenstift seinen achthundertjährigen Geburtstag gefeiert. Da jährte sich nun in eben diesen Tagen der achthundertjährige Todestag eines Mannes, der ah der größte Geschichtsdenker des Mittelalters bekannt geworden ist: Otto von F r e i s i n g (1111/15 bis 1158). Der junge Otto wuchs vor den Toren Wiens auf, als Sohn des Markgrafen Leopold des Heiligen. Durch seine Mutter Agnes, die in erster Ehe mit Friedrich I. von Schwaben vermählt war, ist er ein Enkel Kaiser Heinrichs IV., ein Halbbruder König Konrads III. und ein Onkel Friedrich Barbarossas. Die Familienverbindung mit dem Hause der Salier und Staufer, mit dem schweren Schicksal des unglücklichen Heinrich IV., dann mit dem Aufstieg des Reiches unter Friedrich 1. wirft ihre Schatten auf das Leben des jungen Fürsten, der sehr jung bereits Propst des Chorherrnstiftes Klosterneuburg wird. Das Nachsinnen über den Untergang der großen Geschlechter, über den Verfall des Reiches muß sich früh in dem jungen, grüblerischen Manne entwickelt haben. Otto wird 1128 zum Studium nach Paris geschickt, lernt da die junge Intelligenz der frühen Scholastik kennen, Abälard und Gilbert de la Porree, Hugo von Sankt Viktor. Otto hört interessiert die Vorlesungen, im Innersten aber wird er durch ein anderes ergriffen: der junge Mann, dem eine große Karriere bevorsteht, tritt in Mo-rimond in der Champagne in den Zisterzienserorden ein, wird dort 1136 Abt, dann 1138 Bischof von Freising. Noch als Bischof trägt er das Mönchskleid, unablässig bemüht, das verfallene Freisinger Bistum religiös, bildungsmäßig und wirtschaftlich zu reformieren.

Sein Blick aber geht weiter, geht über Freising hinaus, so wie er sich in Paris und Morimond nicht einfangen ließ: sein Blick geht auf das große Ganze. Was ist nicht zuletzt der Sinn der schweren Kämpfe zwischen Päpsten und Kaisern, der mitten durch seine Familie hindurchgeht, und mitten durch seine Zeit? Otto von Freising, dieser Klosterneuburger, ist ein sensibler, zartempfindender Geist, abhold jeder Radikalität. Vermittlung sucht er, überall wo er auftritt. Das ist das Erstaunliche am Leben und Werk dieses Mannes: es gelingt ihm tatsächlich, die großen Weltgegensätze seiner Zeit zusammenzudenken, und, in seiner Eigenschaft als Kirchenfürst und Reichsfürst, in Wort und Tat zu vermitteln. Otto von Freising macht es sich nicht leicht: sein großes weltgeschichtliches Werk, seine Weltchronik als Geschichte der zwei Reiche zeigt, wie der uralte Pessimismus christlichmittelalterlicher, augustinischer Herkunft in ihm mit einem vorsichtigen Optimismus ringt, der dann in seiner „Geschichte Friedrichs 1.“ durchbricht, in der er die ersten Regierungsjahre Barbarossas bis zu seinem eigenen Ableben, 1158 behandelt. Das heute besonders Eindrucksvolle am geschichtlichen Denken und am historischen Werk Otto von Preisings ist ja eben dies: dieser Klosterneuburger an der Schwelle des Hochmittelalters hat als erster Europäer, ein sehr waches Gefühl dafür, daß in unserem Raum die „zwei Reiche“, Kirche und Staat, Reich Gottes und Welt, Spirituelles und Politisches in höchst eigentümlicher Weise aufeinander bezogen sind.

So darf also Otto von Freising als eindrucksvoller Vertreter jenes gläubigen „Opimismus“ heute gesehen werden, der gerade in Krisen- und Uebergangszeiten so wichtig ist für das Leben in der Welt: und der befähigt, durch schwere Zeiten hindurchzugehen„ mit dem Blick, auf die Erde, im Vertrauen auf einen letztlich guten Sinn dieser uns:rer Geschichte, die, im letzten einer höheren Führung folgt, als den Sternen, die hier regieren.

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