Nur weg vom Fleisch!

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Satire, Sachbuch, Reportage, Kochbuch und außerdem ein spannender Roman: "Beef".

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Satire, Sachbuch, Reportage, Kochbuch und außerdem ein spannender Roman: "Beef".

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Beef" heißt das Buch der Amerikanerin Ruth. L. Ozeki auf deutsch, der Originaltitel "My Year of Meats" wäre aufschlußreicher: Eine Filmemacherin beschäftigt sich ein Jahr lang mit Fernsehwerbung für Fleisch. Das Jahr bringt ihr eine erfolgreiche Sendeserie, persönliche Abenteuer und Katastrophen, die spektakuläre Aufdeckung von Skandalen, Öffentlichkeitswirkung ganz anders als beabsichtigt, und schließlich eine Befreiung - weg vom Fleisch, weg vom Fernsehen.

Ein TV-Team reist also ein Jahr lang durch 50 Staaten der USA und pirscht sich safariartig jede Woche an eine Hausfrau und ihre Familie heran. Die halbstündigen Sendungen sollen im Auftrag einer Marketingfirma Promotion für den Export von Beef nach Japan machen. Der von der Marketingfirma gesponserte japanische Sender ist von ihr völlig abhängig. Die Strategie der Kampagne besteht darin, Werbung und Reportage synergetisch zu vermischen, die Authentizität der Familienszenen als Vertrauensköder einzusetzen, dabei aber Authentizität mit dem Klischee der Japaner vom glücklichen Amerika gleichzusetzen. Kernstück jeder Sendung ist die Zubereitung eines Fleischgerichts, drumherum Familienleben, soziales Umfeld, Stadtkulisse.

Gewünschtes Profil der gezeigten Familien: "Sauberes Haus, gepflegt aussehende, gesunde Ehemänner, gehorsame Kinder, attraktive Freunde, aufregende Hobbies". Entsprechend klar das Nicht Wünschenswerte: "Körperliche Makel, Dreck, zweitklassige Menschen", das heißt Behinderte, Kranke, Nichtweiße, kurz: alles "Andersartige". Via Fleischwerbung wird Rassismus genährt, kaum nachweisbar, doch "synergetisch" äußerst wirksam.

Die Filmemacherin wird gegen diesen schleichenden Verlust von Medienethos subversiv. "Kultur-Hybrid", der Vater ist Amerikaner, die Mutter Japanerin, ist sie besonders sensibel für die Beziehung zwischen beiden Ländern, merkt, wie sie sich als "kulturelle Zuhälterin" mißbrauchen lassen soll. Sie recherchiert, wie Japan traditionell Fisch ißt, wie Rinder erst durch die Spanier ins Land kamen. Sie spürt, wie das Klischee vom amerikanischen Mustermann in eine ungute Synergie tritt mit dem vom japanischen Familienherrn. Sie kennt die Kausalketten hinter dem Fleischkonsum: Landschafts- und Regenwaldzerstörung, Energieverschwendung, Treibhausgase. Sie weiß, daß damit synergetisch Gewalt verbunden ist, gegen Natur und Mensch. Das "Jahr des Fleisches" ist im Buch das Jahr des Golfkrieges 1991.

Sie bringt das Kunststück fertig, der Auftragsbotschaft die Gegenbotschaft vom Widerstand gegen das Konforme aufzuprägen. Geschickt weicht sie das rassistische Konzept auf, bringt Familien mit adoptierten andersfarbigen Kindern, bringt eine Hoffnungsgeschichte mit einem querschnittgelähmten Mädchen, stellt sogar die Familie zweier lesbischer Frauen mit ihren Kindern vor. Die Auftraggeber wittern die Subversion, greifen aber, gelähmt von den hohen Einschaltquoten, noch nicht ein. So weit, ist das Buch bereits spannend genug: kunstvoll durchkomponiert als Satire, Sachbuch, engagierte Reportage, Kochbuch mit eingestreuten Fleischrezepten. Mit medientypischer List wird Medienkritik geübt, wenn die Autorin arglos-objektiv die Tricks beschreibt, wie etwa ein Fleischstück vor der Aufnahme von der Food-Stylistin mit Glyzerin, Glanzmitteln, Farben und dergleichen saftig aufbereitet und nach der Sendung als völlig ungenießbar weggeworfen wird. Nicht mehr Kosmetik, sondern Schwindel.

Medientypisch sind auch die Nebenwirkungen der Kampagne: etwa ein Ehekrach in einer der heimgesuchten Familien, ausgelöst durch das bloßstellende Auge der Kamera. Und dann die Mißachtung der Opfer, wenn am Schneidetisch mit Archivgelächter und synthetischen Bildern eine Versöhnung fingiert wird. In einem Fall wird, durchaus glaubwürdig, die subversive Wirkung dargestellt: Eine japanische Zuschauerin bekennt sich zu ihrer eignen Andersartigkeit, verläßt ihren sadistischen Ehemann, reist nach New York zur Filmemacherin und wird von ihr an die passende alternative Familie vermittelt.

Ruth L. Ozeki nahm sich für ihre Zeitkritik das "Kopfkissenbuch" der Hofdame Sei Shonagon aus dem zehnten Jahrhundert zum Muster. Wie durch einen transparenten Seidenstoff hindurch wird sichtbar, was die beiden Frauen über tausend Jahre hinweg verbindet: Widerstand einer einzelnen gegen überwältigenden Normendruck. Ihr Gegenmittel ist dasselbe: poetische Leichtigkeit, getragen von emanzipatorischem Eigensinn.

Die Fleisch-Geschichte wird schließlich hochdramatisch, wenn die Filmemacherin in einer Großmästerei des Mittelwestens einen Hormonskandal aufdeckt. Ein längst verbotener Wachstumsförderer DSE hat nicht nur das Fleisch verseucht, sondern auch das Kind des Großmästers geschädigt, die Fünfjährige ist bereits voll in der Pubertät. Auch die Konflikte laufen nun synergetisch. Die Mästerfamilie protestiert, der Auftraggeber feuert die subversive Filmerin und läßt einen geschönten Ersatzfilm drehen. Zu allem Übel hat die Mutige noch eine Fehlgeburt, kausal im Zusammenhang mit ausgerechnet diesem DSE, das ihre Mutter einst als schwangerschaftsstabilisierendes Mittel eingenommen hat.

Doch die Mischlinge "sind maultierartig zäh". Sie rettet das belastende Filmmaterial vor ihrem wütenden Auftraggeber und lanciert es öffentlich. Am gleichen Tag werden ihr Film und der geschönte Film ausgestrahlt. Mit ihrem neuen Ruhm als Dokumentaristin kann sie sich aus den Fernsehzwängen lösen. Romangerechtigkeit geschieht, die Heldin ist rehabilitiert, ihr Vorgesetzter fällt in Ungnade. So endet das "Jahr des Fleisches".

Man kann es als Emanzipationsgeschichte lesen: Befreiungen, direkt und indirekt. Ein bißchen Befreiung vielleicht auch für den Leser, wenn er, auf so bekömmliche Weise angeregt, über seinen Fleisch- und Fernsehkonsum nachdenkt.

BEEF Roman von Ruth L. Ozeki Scherz Verlag, Bern 1998 384 Seiten, Ln., öS 328.-

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